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Stille Seele (German Edition)

Stille Seele (German Edition)

Titel: Stille Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Lastella
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ausgeliefert zu sein. Er hasste es, allein damit zu sein, sein Leben und sich selbst, dass er es so weit hatte kommen lassen. Ohne hinzusehen, kramte er in einer seiner Taschen und fand die Wasserflasche, die er auf dem Flug gekauft hatte und in der noch ein letzter, ekelhaft warmer Schluck herumschwappte. Er nippte daran, verzog angewidert das Gesicht und trocknete sich mit dem Handrücken die Lippen ab. Über ihm zwitscherte ein Schwarm Vögel. Der Himmel war tiefblau und die frühherbstliche Sonne erstaunlich warm. Jakob schloss die Augen, obwohl er wusste, was ihn dann erwarten würde. Der Flashback war noch nicht vorbei. Er hörte, wie das Gezwitscher verschwamm und stattdessen dem angestrengten Husten eines Viertakters wich.
    Mit einer Mischung aus Angst und Wut blinzelte er in die am Nachmittag tief stehende Sonne, obwohl er genau wusste, dass seine Augen eigentlich längst geschlossen waren und es nicht nachmittags, sondern früher Morgen war. Sekundenlang schlossen sie sich auch in seiner Erinnerung. Es flimmerte gelb hinter seinen geschlossenen Lidern und er fing an zu zittern, als die ersten Bilder vor seinem inneren Auge vorbei zuckten. Connor, der lachend ein Kaugummi von Jakob entgegennahm und seine Unform zurecht zog, die Hitzewelle einer Explosion, entstellte Leichen, Blut, Tod. Jakob wollte die Augen öffnen, aber die Bilder übten einen unbezwingbaren Sog aus, dem er sich nicht entziehen konnte. Jakob sah sich selbst mit einer Waffe in Deckung gehen, hörte die zweite Explosion unmittelbar in seiner Nähe, die den Boden erzittern ließ. Staub und Erdbrocken rieselten auf ihn nieder. Er kniff die Augen zusammen, um sich vor herumfliegenden Teilen zu schützen, als ihn das Quietschen von Bremsen zurück in die Realität riss. Das Gras unter ihm duftete und die Baumkronen über ihm rauschten. Jakob seufzte erleichtert. Kanada – er war in Kanada. Die Bremsen hatten das Gewicht eines riesigen Lasters neben ihm zum Stehen gebracht. Er spürte, dass das Wasser aus seiner Flasche seinen Pullover und einen Großteil seiner Reisetasche völlig durchnässt hatte. Fluchend sprang er auf und schüttelte seinen tropfenden Ärmel, während er der Flasche einen wütenden Tritt verpasste.
    „Na, Kumpel, alles in Ordnung bei dir? Bist du verletzt oder brauchst du Hilfe? Ich meine, du sahst echt nicht gut aus.“ Ein Mann Mitte vierzig war aus dem Führerhaus des Lasters gesprungen. Er entsprach nicht dem Bild, das man im Allgemeinen von Truckern hat, sondern wirkte gepflegt. Sein Bart war ordentlich rasiert, seine Kle idung tadellos und durchaus modisch. Nur der leichte Bauchansatz zeigte, dass er seinen Unterhalt überwiegend sitzend verdiente.
    Jakob schüttelte stumm den Kopf und fuhr sich beschämt durch die Haare. Er machte einen Schritt auf den Trucker zu. „Ich bin schon ‘ne ganze Zeit unterwegs. Irgendwie wollte niemand anhalten, und dann die ganzen Sachen.“ Er deutete unbeholfen auf seine Taschen. „Ich weiß nicht, ich denke, ich war nur erschöpft. Es geht schon.“
    „Du suchst ‘ne Mitfahrgelegenheit? Wohin soll es denn gehen?“
    „Wohin fahren Sie?“ Ein schiefes Grinsen umspielte Jakobs Lippen und entlockte dem Trucker ein amüsiertes Lachen.
    „Das ist der beste Weg, um Kanada kennenzulernen. Einfach sehen, wohin es einen verschlägt. Ich bin so mal durch die gesamten USA gereist. Die schönste Zeit meines Lebens. Nur der Rucksack und ich. Keine Hypotheken, keine Familie, keine Verpflichtungen, aber alles ist vergänglich. Vor allem die Jugend!“ Er verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Genieß es. Ich fahre nach Winnipeg. Wenn du willst, kann ich dich mitnehmen!“
    Jakob blickte erstaunt auf. „Ist das Ihr Ernst?“
    Mit einem Lächeln zog der Trucker seine Schulter hoch. „Ich bin zu nett für diese Welt. Mein Name ist übrigens Peter.“
    „ Jacob!“ Er vermied es bewusst, die deutsche Schreibweise zu b etonen. Peter war auch ohne diese Zusatzinformation schon neugierig genug.
    „Also Jacob, was machst du hier in Kanada?“
    Jakob folgte ihm zum Laster und stieg ein. Nachdem er seine Taschen verstaut und Peter den Laster wieder auf den Highway gelenkt und beschleunigt hatte, erwiderte er: „Ich mache nur Urlaub! Ich wollte Richtung Norden!“
    Peter nickte. „Und wo kommst du her?“
    „Montana!“
    „Ist schön da!“ Das Gespräch geriet ins Stocken und Jakob fiel nichts ein, was er noch hätte sagen können. Erschöpft legte er seinen Kopf gegen die kühle

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