Stille Seele (German Edition)
vor ihr – einen schönen Aufenthalt in Kanada wünschte. Obwohl es nur eine Form von Höflichkeit war, bedankte die junge Frau sich, hob kurz die Hand und winkte ihr freundlich zu. Dann wandte sie sich um und ging mit gebücktem Rücken, aber voll Vorfreude im Gesicht auf die Schiebetüren des Flughafens zu, die sie zunächst in die Flughafenhalle und dann auf kanadischen Boden bri ngen würden. Damit war sie schon um einiges weiter als Jakob. Er spürte, wie ihm der Angstschweiß den Rücken hinablief. Nervös fuhr er sich über das Gesicht und spürte die Feuchtigkeit unter seinen Handflächen. Es war stickig – stickiger als vor ein paar Minuten, als seine Zuversicht, ohne Probleme durch die Abfertigung zu kommen, noch wesentlich größer gewesen war. Jetzt war sie fort und in seinem Inneren hallte kalt die Angst wider, dass sie ihn erwischen würden.
Jakob seufzte und schabte nervös mit seinem Schuh über den glä nzenden Boden. Allein sein Verhalten drohte das Projekt Zukunft zu gefährden. Er musste sich zum Teufel noch mal zusammenreißen. Wovor hatte er eigentlich Angst? Immerhin war er Amerikaner und es gab keinen Grund dafür, ihm die Einreise zu verweigern. Jakob war in seinem Leben schon mehrmals nach Kanada gereist und es hatte nie ein Problem gegeben. Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren, ruhig durchzuatmen. Klimaanlagengekühlte Luft strömte in seine Lungen und beruhigte ihn tatsächlich für einen kurzen Augenblick, bevor das Gefühl von Unsicherheit und panikgeladener Angst in doppelter Heftigkeit zurückkehrte. Er unterdrückte ein gequältes Knurren und erntete dafür einen irritierten Blick von seinem Vordermann. Mit einem Kopfschütteln stieß dieser die Luft aus und pustete damit eine verfilzte Locke aus seinem Gesicht, bevor er Jakob von neuem den Rücken zudrehte.
Herrgott! Er fiel mit seinem Verhalten sogar einem neben sich st ehenden Hippie auf und obwohl er wusste, dass sein Verhalten dämlich und der einzige Grund für ein eventuelles Scheitern war, konnte er es nicht ändern. Diesmal war die Einreise etwas anderes – etwas ganz anderes, und das machte es kompliziert. Schuldbewusst dachte Jakob an die Gründe, die sehr wohl dagegen sprachen, ihm den Aufenthalt in Kanada zu erlauben, und unwillkürlich spürte er, wie ihm erneut der Schweiß ausbrach.
„Sir?“ Die Stimme der Beamtin riss Jakob aus seinen Gedanken. Wenn sie bis hierhin keinen Verdacht geschöpft hatte, spätestens jetzt würde sie es tun. Jakob spürte, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich. Er fühlte sich elend, krank, und er war sich sicher, dass sein Verhalten bereits ihr Interesse geweckt hatte. Sie sah ihn fragend an und musterte ihn dann kritisch von Kopf bis Fuß.
„Sir, Ihren Pass, bitte!“ Sie streckte herausfordernd ihre Hand aus.
Jakob zuckte kurz zusammen, zwang sich zu einem gequälten L ächeln und schob dann seine Papiere über die abgeschabte Resopalplatte des Schalters. Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, um den Anschein zu erwecken, dass alles normal wäre. „Da wartet man so lange, dass man am Ende fast seinen Einsatz verpasst.“ Er zog eine schiefe Grimasse und lachte gekünstelt.
Die Beamtin schien unbeeindruckt. Sie verzog keine Miene und ließ stattdessen ihren Blick mehrmals zwischen Jakob und seinem Pass hin- und herwandern. Sie schien nicht zufrieden und blätterte durch die weitestgehend leeren Seiten.
Ein unangenehm kalter Schweißfilm überzog Jakobs Haut und ließ ihn frösteln. Das dauerte alles zu lange. Sie konnten noch gar nicht wissen, dass er abgehauen war. Wieso wusste die Grenzpolizei bereits Bescheid? Das war unmöglich und zudem noch gegen die übliche Vorgehensweise, sollten sie sein Fortbleiben tatsächlich bereits entdeckt haben.
„Grund der Einreise?“ Kein Lächeln, keine freundliche Geste, nur ein strenger Blick und das geschäftige Blättern in seinem Pass.
„Urlaub … ich besuche einen Freund. Nur für ein paar Tage!“ Ging es überhaupt noch auffälliger? Er stotterte wie ein kleiner Junge, den man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Jakob biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Seine Beine zitterten und er war sich ziemlich sicher, dass er jeden Moment zusammenbrechen würde. Connor sollte hier sein. Er verschwendete einen sehnsüchtigen Gedanken an seinen besten Freund, der nie Probleme gehabt hatte, sich auszudrücken und Menschen von sich und seinem Vorhaben zu überzeugen.
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