Stille Tage in Clichy
Französisch. Um unseren Appetit anzuregen, tranken wir einen Elsässer. Jemand legte eine Platte auf, und Carl, rot wie eine Rübe, mit feuchten Lippen und leuchtenden Augen, fing mit lauter, durchdringender Stimme an zu singen. Immer wieder ging er zwischendurch zu Corinne hinüber und drückte ihr einen schmatzenden Kuß auf den Mund - um ihr zu zeigen, daß er sie nicht vergessen hatte. Aber alles, was er sagte, war an Christine gerichtet.
«Christine!» sagte er, liebkoste ihren Arm und streichelte sie wie eine Katze. «Christine! Was für ein zauberhafter Name!» (In Wirklichkeit konnte er den Namen nicht ausstehen. Er sagte immer, es sei ein ganz blöder Name, gerade gut genug für eine Kuh oder einen lahmen Gaul.) «Laß mich überlegen», und er rollte die Augen zum Himmel, als bemühe er sich, die treffende Metapher zu finden. «Er ist wie duftige Spitze bei Mondlicht. Nein, nicht bei Mondlicht - in der Dämmerung. Jedenfalls, er ist duftig, köstlich wie Ihre Seele... Gebt mir noch etwas zu trinken. Mir fallen jetzt keine besseren Vergleiche ein.»
Christine, in ihrer nüchternen Art, unterbrach diese Vorstellung mit der Frage, ob das Essen bald fertig sei. Carl tat so, als sei er schockiert. «Wie kann ein so schönes Geschöpf wie Sie in einem solchen Augenblick nur ans Essen denken?» rief er aus.
Aber Corinne hatte auch Hunger. Wir setzten uns, Carl noch immer rot wie eine Rübe. Er ließ seinen wässerigen Blick von einer zur anderen wandern, als könne er sich nicht entscheiden, welche er zuerst lecken sollte. Man sah ihm an, daß er in der Stimmung war, beide von Kopf bis Fuß abzulecken. Nach ein paar Bissen stand er auf und schlabberte Corinne ab. Dann, als habe er Baldrian gesoffen, schmuste er mit Christine herum und machte sich bei ihr an die Arbeit. Der Erfolg blieb nicht aus, aber danach saßen die beiden etwas benommen da. Wahrscheinlich fragte sie sich, wie der Abend noch enden sollte.
Bis jetzt hatte ich Christine nicht angerührt. Ich war neugierig, zu beobachten, wie sie sich verhielt - wie sie sprach, wie sie lachte, wie sie aß und trank. Carl füllte die Gläser immer wieder aufs neue, als tränken wir Limonade. Christine schien befangen, doch der Wein tat bald seine Wirkung. Es dauerte nicht lange, da fühlte ich an meinem Schenkel eine Hand, die mich drückte. Ich ergriff sie und legte sie zwischen meine Beine. Sie zog sie wie erschrocken zurück.
Carl begann jetzt, ihr mit Fragen über Kopenhagen, ihre Kinder und ihr Eheleben zuzusetzen. (Er hatte vergessen, daß ihr Mann bereits tot war.) Plötzlich, aus heiterem Himmel, sah er sie mit einem hinterhältigen Grinsen an und sagte: «Ecoute, petite , eins möchte ich gern wissen — läßt er dir hin und wieder einen guten Fick angedeihen?»
Christine wurde puterrot. Sie sah ihm in die Augen und sagte steinern: «Il est mort, mon mari.»
Jeder andere wäre beschämt gewesen. Nicht so Carl. Er stand auf, sein Gesicht war unbefangen und freundlich, ging zu ihr hinüber und küßte sie keusch auf die Stirn. «Je t'aime» , sagte er und trottete an seinen Platz zurück. Einen Augenblick später plapperte er über Spinat und wie gut er roh schmecke.
Die Nordländer haben etwas an sich, was ich nicht verstehe. Ich bin nie einem begegnet, weder einem Mann noch einer Frau, mit dem ich wirklich hätte warm werden können. Ich will damit nicht sagen, daß Christines Anwesenheit etwa abkühlend wirkte. Im Gegenteil, der Abend lief wie eine geölte Maschine. Nach dem Essen zog Carl seine Akrobatin auf den Diwan. Ich legte mich mit Christine im Nebenzimmer auf den Teppich. Zuerst gab es einen kleinen Kampf, aber als ich erst einmal ihre Beine auseinander gebracht hatte und der Saft floß, kam sie auf den Geschmack. Nach ein paar Zuckungen begann sie zu weinen. Sie weinte über ihren toten Mann, wie sie mir gestand. Ich konnte das nicht begreifen. Ich hätte beinahe gesagt: Was tut das jetzt zur Sache? Aber ich wollte herausfinden, was sie eigentlich mit soviel Respekt an ihren verstorbenen Mann denken ließ. Zu meiner Überraschung sagte sie: «Was würde er von mir denken, wenn er mich hier auf dem Boden mit dir liegen sähe?» Das klang für mich so lächerlich, daß ich ihr am liebsten den Hintern versohlt hätte. Mich überkam der ruchlose Wunsch, sie etwas tun zu lassen, was eine echte Äußerung von Scham und Reue rechtfertigte.
Gerade hörte ich Carl aufstehen und ins Badezimmer gehen. Ich rief ihm zu, er solle herüberkommen und
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