Stille über dem Schnee
einem
Jahr schickt er meinem Vater immer wieder Leute. Bisher hat nur ungefähr ein
halbes Dutzend der schlechten StraÃe getrotzt, aber wenn sie es dann endlich
geschafft haben, wollen sie meistens überhaupt nichts mehr kaufen.
»Ich brauche eine Wasserwaage«, sagt mein Vater.
»Was ist mit Ihrer alten?«
»Ich habe die Libelle angeknackst.«
»Da müssen Sie aber ordentlich zugeschlagen haben.«
»Tja. Hm.«
Mein Vater tritt zu dem Regal mit den Wasserwaagen. Seine alte
Wasserwaage, die bestens funktioniert hat, bis er die Libelle gegen den
Kühlschrank gedonnert hat, war eine mit Metallkanten. Jetzt nimmt er eine aus
Holz zur Hand. Einige der Libellen sind, wie ich sehe, oval, bei anderen ist
das Glas gewölbt. Mein Vater zeigt mir eine Wasserwaage, mit der man horizontal
und vertikal ausrichten kann.
»Ich hole mir bei Remyâs einen Kaffee«, sagt Sweetser und fährt mit
den Armen schon in eine gelbkarierte Jacke. »Wollen Sie auch einen?«
»Nein, danke«, antwortet mein Vater.
»Ein Drakeâs?«
»Nein, vielen Dank. Ich habe gefrühstückt.«
»Nicky, wie stehtâs mit dir?« fragt Sweetser. »Möchtest du eins?«
»Ein Drakeâs-Törtchen?« frage ich.
»Sie möchte eines«, stellt Sweetser fest.
Als Sweetser weg ist, sage ich meinem Vater, daà ich weiÃe Farbe
brauche. »Nach Weihnachten fahre ich mit Jo auf den Gunstock zum Skilaufen.«
»Wie viele sind es jetzt?« fragt er.
»Sieben«, antworte ich, von den weiÃen Gipfeln meines Wandgemäldes
sprechend.
»Wann fahrt ihr?« fragt er.
»Am Tag nach Weihnachten.«
»Hast du schon fest zugesagt?«
»Wieso? Darf ich nicht?«
»Da ist Oma noch hier«, sagt er.
»Und deshalb soll ich nicht zum Skilaufen?« Schon ist mein Ton voll
empörter Herausforderung. Ich schaffe es jetzt innerhalb von fünf Sekunden von
null auf hundert, wenn ich wütend werde.
»Aber ja, natürlich darfst du«, entgegnet mein Vater. »Es wäre nur
schön, wenn du vorher fragst. Hätte ja sein können, daà ich etwas geplant habe.
Hätte sein können, daà wir wegfahren.«
»Also, Dad«, erwidere ich im Brustton der Ungläubigkeit, »wir fahren
doch nie irgendwohin.«
Ich nehme eine Dose Perlweià und gehe dann hinüber, um mir die
antiken Möbel anzusehen. Es gibt eine Schlafzimmergarnitur aus Ahorn und ein
abgenutztes grünkariertes Sofa. In einer Ecke steht eine Jukebox. Es würde mich
interessieren, ob sie noch funktioniert.
Sweetser drückt mit der Schulter die Tür auf und kommt mit einem
Kaffeebecher und einem Drakeâs-Törtchen in den Händen wieder herein. Mein Vater
entscheidet sich für die Wasserwaage mit der festen Libelle. Er stellt sie auf
den Verkaufstisch und bezahlt. Zusammen mit dem Wechselgeld drückt ihm Sweetser
ein kleines Rechteck Zeitungspapier in die Hand.
»Ich habâs trotzdem mal ausgeschnitten«, sagt Sweetser.
Die Wasserwaage und der Zeitungsausschnitt liegen auf meinem
SchoÃ, als mein Vater von Sweetsers Parkplatz wegfährt. Er schlägt den Weg nach
Hause ein. Ich beiÃe von meinem Törtchen ab, die Krümel fallen vorn auf meinen
Parka. »Dad«, sage ich. »Wir brauchen Essen.«
»Hast
du eine Liste gemacht?«
»Nein, aber wir brauchen Milch und Cheerios«, sage ich. »Brot und
Wurst. Sachen fürs Abendessen.«
»Ich mag nicht zu Remyâs gehen«, sagt er. »Für heute reichtâs mir
mit der Heldenverehrung.«
Er wendet den Wagen und fährt in Richtung Butsonâs-Supermarkt, ein Geschäft
etwas weiter auÃerhalb. Manchmal kauft er dort ein, ohne jemanden zu treffen,
den er kennt. Wir fahren an der Mobil-Tankstelle und der Dorfschule von
Shepherd vorüber, einem Ein-Zimmer-Schulhaus von 1780. In die Schule gehen die
Dorfkinder vom Kindergartenalter bis zur sechsten Klasse; der Spielplatz ist
ein mit Kies beschütteter Vorgarten. Ãltere Schüler werden jeden Tag mit dem
Bus in die regionale High-School gebracht, in meinem Fall eine Fahrt von
jeweils vierzig Minuten.
Neben der Schule ist die Kongregationskirche, ein weiÃer
Holzschindelbau mit hohen Fenstern und schwarzen Fensterläden. Die Kirche hat
ein steiles Giebeldach und einen Glockenturm. Bis jetzt war noch keiner von uns
beiden drinnen.
Wir fahren an den drei Herrenhäusern des Ortes
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