Stille über dem Schnee
vorbei, alle drei
stehen nebeneinander auf einem Hügel, zwei von ihnen haben bessere Tage
gesehen. Wir kommen am Teppichhaus Serenity vorüber, an einem beigefarbenen
Wohnwagen, an dem Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr (jeden Donnerstagabend
18.30 Uhr Bingo) und an der Firma Croydon-Immobilien, vor der wir unseren Wagen
damals langsam ausrollen lieÃen, als wir das erstemal in den Ort kamen â Croydon-Immobilien,
wo man noch ein Haus für 26 000 Dollar bekommt; kein tolles Haus, aber ein
Haus.
Im Sommer unternehmen mein Vater und ich manchmal Erkundungsfahrten
in die Umgebung. Wenn wir uns irgendwo in den abgelegenen Wäldern verfahren und
kleine Winkel mit überraschend gepflegten Häusern entdecken, fragt mein Vater
jedesmal: »Wovon leben diese Leute?« Einmal sind wir einem Elch begegnet, der
gemächlich vor uns hertrabte und die schmale StraÃe ganz für sich beanspruchte.
Wir muÃten ihm zwanzig Minuten lang im Schneckentempo folgen, weil wir es nicht
wagten, ihn zu überholen, und fanden in der Zeit Gefallen am sanften Auf und
Nieder der runden Hinterbacken des Tiers.
Nach der Firma Croydon-Immobilien kommt sechs Kilometer lang nichts â nur Wald und ein Bach, der parallel zur StraÃe verläuft. Mein Vater drosselt
das Tempo, als wir durch Mercy fahren, die erste Ansammlung von Häusern nach
der Lücke, und an dem Krankenhaus vorüberkommen, das bis in die dreiÃiger Jahre
des vergangenen Jahrhunderts ein vierstöckiges Hotel aus Backstein war. Obwohl
ihm mittlerweile moderne Seitenflügel gewachsen sind, prangt über der Eingangstür
des alten Gebäudes heute noch die Inschrift De Wolfe Hotel
1898 .
»Dad, halt an«, sage ich. »Ich möchte sie sehen.«
Mein Vater schaut zum Krankenhaus. Ich weiÃ, daà er die Kleine auch
gern sehen würde. Aber nach ein paar Sekunden schüttelt er den Kopf. »Zuviel
Bürokratie«, sagt er und beschleunigt das Tempo.
Hinter dem Krankenhaus ist eine kleine Einkaufsarkade. Dort biegt
mein Vater ab und hält vor einem Schild mit der Aufschrift: WEINE UND SPIRITUOSEN, BUTSONâS SUPERMARKT, DER LADEN FÃR DIE
GANZE FAMILIE, FRANK RENATA, ZAHNARZT .
Milch, denke ich. Cheerios. Kaffee. Hühnersuppe mit Sternchen.
Amerikanischen Käse. Gehacktes. Vielleicht Ring-Ding-Cremetörtchen.
Mit Lebensmitteln für eine Woche im Wagen fahren wir zurück â
am Krankenhaus vorüber, durch die Lücke, dann an der Immobilienfirma und den
drei Herrenhäusern vorbei, schlieÃlich weiter zwischen Remyâs Supermarkt und
Sweetserâs Eisenwarenladen, die einander genau gegenüberliegen. Unsere StraÃe
beginnt zehn Kilometer auÃerhalb vom Ort. Auf der Fahrt dorthin kommen wir an
Häusern vorbei, auf deren Vorderveranden sich Sofas, Plastikspielzeug und leere
Propangasbehälter stapeln. Eins dieser Häuser ist ein kleines weiÃes Cottage
mit Holzschindelverschalung und einem eingezäunten Gärtchen hinten. Auf der
vorderen Veranda drängen sich wohlgeordnet Fahrräder und Dreiräder, Baseball-
und Hockeyschläger. Auch die Wäscheleine verrät, daà es mehrere Jungen im Haus
gibt: T -Shirts in verschiedenen GröÃen, Jeans,
Hockeyhemden oder Badehosen, je nach Jahreszeit. Manchmal entdecke ich unter
den Wäschestücken einen Büstenhalter, einen Unterrock oder ein hübsches
Nachthemd. Wenn wir im Winter vorbeikommen, sehen wir bisweilen die Mutter im
Kampf mit steifgefrorenen Laken. Sie sehen aus wie aus Pappe und knattern im Wind.
Ich winke der Frau immer zu, und sie winkt dann lächelnd zurück. Manchmal, im
Sommer, würde ich am liebsten vom Fahrrad springen und guten Tag sagen und ins
Haus gehen und die Jungs kennenlernen und das Chaos erleben, das ich mir
vorstelle.
Mein
Vater lenkt den Lastwagen in unsere Einfahrt. »Hast du Spaghetti mitgenommen?«
fragt er.
»Und Bolognese«, antworte ich.
Er parkt an seinem Stammplatz hinter der Scheune und schaltet den
Motor aus. »Ist das in Ordnung zum Abendessen?«
»Prima.«
»Ich habe Eis gekauft«, sagt er.
»Ja, ich habâs gesehen.«
»Vanille mit PekannuÃ. Dein Lieblingseis.«
»Dad?«
»Ja?«
»Wieso haben sie das Baby Doris genannt?«
Mein Vater greift nach seinen Zigaretten, reine Nervosität,
beschlieÃt dann aber, mit mir im Wagen das Rauchen lieber zu lassen. »Ich weiÃ
es nicht«, sagt er.
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