Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stille über dem Schnee

Stille über dem Schnee

Titel: Stille über dem Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
wieder werde ich auf meiner Schaukel
sitzen . Nie wieder werde ich die Cheerios aus diesem Küchenschrank holen . Der
Abschied drückte schwer auf das Haus und alles, was sich darin befand, deshalb
schien es eine Herkulesarbeit, nur ein Glas zu heben. Ich packte die Dinge, wie
sie kamen, Gläser und Teller in denselben Karton, weitere Teller in einen
anderen Karton, und ich vergaß, die Kartons zu beschriften. Noch Monate nach
unserem Einzug in das neue Haus mußten wir sechs oder sieben Kartons auspacken,
um den Toaströster zu finden oder den Meßbecher oder die Holzlöffel.
    Ich rührte mich nicht, als mein Vater sagte, wir müßten jetzt
losfahren. Eine Stunde lang ließ er mich in Ruhe, während er mehrmals in Zimmer
und Schränke sah, um sich zu vergewissern, daß wir nichts liegengelassen
hatten. Am Ende mußte er mich aus dem einzigen Zuhause hinaustragen, das ich je
hatte, aus dem Haus, in dem es noch Stellen gab, die meine Mutter und Clara
berührt hatten. Ich schluchzte den ganzen Weg bis zur Massachusetts-Mautstelle.
    Die Fahrt von New York nach New Hampshire ist in drei Stunden zu
bewältigen, aber wir schienen viel länger zu brauchen, um unser Ziel zu
erreichen. Mein Vater fuhr einfach die Route 91 hinauf, den Highway, der zwischen
New Hampshire und Vermont verläuft, er wußte nicht mal, in welchem Staat wir
uns schließlich niederlassen würden. Erschöpft hielten wir in White River
Junction an und bestellten uns ein spätes Abendessen, das wir beide nicht
hinunterbrachten. Wir ließen uns den Weg zum nächsten Motel sagen, wo ich mich
einfach aufs Bett fallen ließ. Eigentlich wollte ich noch einmal aufstehen, um
mich auszuziehen und mir die Zähne zu putzen, aber das schaffte ich nicht mehr.
Ich erwachte am nächsten Morgen, orientierungslos und schmuddelig. Ich fühlte
mich, als wäre ich durch ein Loch im Netz der Zeit gefallen und wäre nun
gefangen zwischen dem Leben, wie es einmal war, und dem Leben, wie es sein
würde. Ich hatte keine Lust auf die Zukunft, und ich wußte, daß es meinem Vater
nicht anders ging.
    Am Morgen quengelte ich während des ganzen Frühstücks, und mein
Vater ließ mich ärgerlich allein mit meinen Blaubeerpfannkuchen sitzen. Als ich
schließlich in den Wagen stieg, versuchte er, aus White River Junction
herauszufinden, um weiter Richtung Norden zu fahren. Ich erinnere mich an eine
Folge verwirrender Straßenschleifen und -kreuzungen, und mein Vater brauchte
ein paar Minuten, um zu erkennen, daß wir nicht nach Norden fuhren, sondern auf
der Route 89 in südlicher Richtung gelandet waren.
    Â»Schauen wir einfach mal, wohin sie uns bringt«, meinte er
schulterzuckend.
    Die Straße führte langsam ansteigend in ein niedriges Gebirge mit
blendendweißen Felsvorsprüngen. Wasserfälle waren zu blauem Eis gefroren, und
auf den Nordseiten von Bäumen und Häusern lagen noch Schneereste. Wir waren
erst eine halbe Stunde unterwegs, als mein Vater an einer Ausfahrt vom Highway
abbog. Vielleicht war ihm klargeworden, daß wir wieder in Massachusetts
ankommen würden, wenn wir die Straße nicht bald verließen, vielleicht wollte er
auch nur tanken. Von der Ausfahrt rollten wir abwärts auf die Route 10, fuhren
zwei oder drei Kilometer durch einen kleinen Ort und hielten vor der Firma
Croydon-Immobilien.
    Ich hockte bockig auf meinem Platz, die Arme über meinem dicken
Parka gekreuzt, das Kinn tief in den Kragen versenkt, und gönnte meinem Vater
keinen Blick.
    Â»Nicky«, sagte er leise.
    Â»Was?«
    Â»Wir müssen uns zusammennehmen«, sagte er.
    Â»Wozu?« fragte ich.
    Â»Um einen neuen Start zu versuchen«, antwortete er.
    Â»Ich will aber keinen neuen Start versuchen«, entgegnete ich.
    Er seufzte, und ich hörte, wie er mit den Fingern aufs Lenkrad
trommelte. Er wartete. »Ich weiß, wie schwer das für dich ist«, sagte er
schließlich.
    Â»Du hast keine Ahnung«, sagte ich und verkroch mich noch tiefer in
mich selbst.
    Â»Ich glaube doch«, widersprach er leise und ruhig.
    Â»Es ist so ungerecht  !«
schrie ich.
    Â»Ja, das stimmt«, sagte er.
    Â»Aber warum?« jammerte ich.
    Â»Es gibt kein Warum, Nicky.«
    Â»Doch, gibt es schon. Wir hätten nicht wegzugehen brauchen. Wir
hätten zu Hause bleiben können.«
    Â»Nein, Nicky, das konnten wir nicht.«
    Â»Du meinst, du konntest

Weitere Kostenlose Bücher