Stille über dem Schnee
Sie
kommt Weihnachten her. Sie können die Tür zumachen und dort schlafen.«
»Und du meinst nicht, daà dein Vater etwas dagegen hat?«
»Nein«, erkläre ich ohne jeden Nachdruck.
Sie steht von der Couch auf, wirft dabei die Strickjacke und die
Häkeldecke ab. Ich führe sie zur Hintertreppe. Sie geht mit stockenden
Schritten und benutzt das Treppengeländer, um sich hochzuziehen. Sie folgt mir
in ein Zimmer mit einem Doppelbett mit einem weiÃen Ãberwurf, der vor Jahren
auf dem Bett meiner Eltern lag. Ich hole eine Steppdecke aus dem Schrank und
breite sie über dem dünnen Ãberwurf aus. Neben dem Bett steht ein kleiner Tisch
mit einer Lampe darauf, und rechts ist ein Toilettentisch mit einem Spiegel. In
einer anderen Ecke steht ein Schaukelstuhl und daneben eine besonders helle
Lampe, die mein Vater aufgestellt hat, damit meine GroÃmutter hier oben sitzen
und lesen kann, wenn sie will.
Die Frau geht direkt zum Bett, schlägt die Decken zurück und legt
sich hin.
»Ich komme ab und zu vorbei und schaue nach Ihnen«, sage ich.
Die Augen der Frau sind geschlossen, sie scheint schon eingeschlafen
zu sein.
Widerstrebend mache ich kehrt und gehe hinaus. Ich schlieÃe die Tür
übertrieben behutsam. Ich setze mich auf die unterste Treppenstufe und bleibe
eine Zeitlang dort sitzen â so lange, wie ich gebraucht hätte, um rund um das
Haus herum gründlich zu schippen. Dann gehe ich in die Scheune hinüber.
»Ich habe sie ins Gästezimmer gebracht«, sage ich.
Mein Vater tritt von der Tischkreissäge zurück. »Ich möchte nicht,
daà du mit ihr sprichst.« Er nimmt die Schutzbrille ab. »Ich dachte, ich hätte
mich klar genug ausgedrückt.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Sobald dieses Schneetreiben nachläÃt, bestehe ich darauf, daà sie
verschwindet. Ich will nicht, daà du da hineingezogen wirst, Nicky.«
»Du meinst, du willst nicht, daà du da
hineingezogen wirst.«
»Nein, ich spreche von dir«, sagt er und zeigt mit dem Finger auf
mich. »Die Sache ist sehr ernst. Und du wirst mit keinem Menschen darüber
sprechen. Jetzt nicht und später auch nicht. Hast du mich verstanden?«
Ich drehe um und laufe aus der Werkstatt, bevor mein Vater mit
seinem Vortrag richtig in Fahrt kommen kann. Ich hole das Tablett aus dem
Wohnzimmer, bringe es in die Küche und spüle das Geschirr. Ich esse die Suppe
auf, gleich aus dem Topf. Dann gehe ich nach oben und bleibe vor dem
Gästezimmer stehen, lausche und hoffe auf ein verräterisches Geräusch,
irgendein Geräusch, um das ich eine Geschichte spinnen kann.
Enttäuscht gehe ich schlieÃlich in mein Zimmer, setze mich an den
Schreibtisch und versuche, an der Perlenschnur für meine GroÃmutter zu arbeiten â ein schwieriges und ehrgeiziges Projekt mit einem erhaben gearbeiteten
Anhänger â, aber ich habe keine Ruhe und kann meine Finger nicht dazu bringen,
zu tun, was ich will. Von Zeit zu Zeit trete ich ans Fenster und schaue hinaus.
Das dichte Schneetreiben und der aufgekommene Wind kündigen zu meinem Trost
einen Blizzard an. Mit Kleidung wird es vielleicht schwierig werden, überlege
ich, aber sie kann die Hemden meines Vaters anziehen. Ihre Jeans wird bald
trocken sein. Rastlos werfe ich mich auf mein Bett, starre zur Decke hinauf und
stelle mir eine Woche mit Charlotte vor. Ich sehe uns beide in diversen
Arrangements gemütlich beieinandersitzen, mein Vater ist praktischerweise nicht
da, und sie erzählt mir ihre phantastische und schauerliche Geschichte.
Ich schieÃe in die Höhe. Ich habe eine Idee.
Mit dem Fön aus dem oberen Badezimmer gehe ich nach unten, nehme
ihre Jeans vom Haken im hinteren Flur und hänge sie innen an der Badezimmertür
auf. Die Hosenbeine sind bis zum Saum naÃ. Ich halte sie auseinander und
beginne sie zu fönen, wie ich das oft mit T -Shirts
mache, wenn sie noch feucht vom Waschsalon zurückkommen, weil mein Vater zu
ungeduldig war, um länger zu warten.
Der dicke Jeansstoff trocknet langsamer als gedacht, und ich
fürchte, Charlotte mit dem Lärm zu wecken. Sie soll mich bei dieser Tätigkeit
nicht ertappen; sie soll nur ihre Sachen warm und sauber gefaltet vorfinden.
Als ich den Fön ausschalte, höre ich es an der Hintertür klopfen.
Noch ein Interessent? Unmöglich, denke ich. Wir haben es ja selbst
kaum die StraÃe herauf
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