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Stille über dem Schnee

Stille über dem Schnee

Titel: Stille über dem Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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ohne von meinem Vater
beobachtet zu werden.
    Begleitet von den Geräuschen einer Schaufel, die über Granitstufen
kratzt, schlafe ich ein.

 
    Â  DIE IMMOBILIENMAKLERIN mit dem
Schal und den Pelzstiefeln zeigte uns an jenem Märztag, an dem wir im Ort
eintrafen, drei Häuser. Das erste war ein Cape-Cod-Haus in der Strople Street,
nicht weit von Remy’s Lebensmittelgeschäft. Renovierungsbedürftig, wie
Mrs. Knight uns erklärte. Ich war entsetzt über die Toilette in der
Garage, eine braunfleckige Schüssel, in der ein unidentifizierbares Tier seinen
Geist aufgegeben hatte. Die Küche hatte Arbeitsplatten aus grünem Resopal und
einen braungefliesten Boden, ich konnte mir nicht vorstellen, daß ich jemals
fähig sein würde, in diesem Raum eine Mahlzeit zu essen. Ich gab meinem Abscheu
Ausdruck, indem ich an der Haustür stehenblieb und es ablehnte, nach oben zu
gehen. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Das Haus, an einer der
belebtesten Straßen des Orts, war meinem Vater, der nach einer Höhle suchte, in
der er sich über Jahre verstecken wollte, viel zu exponiert.
    Die
Maklerin war neugierig. Woher wir kämen? Warum wir uns gerade für Shepherd
interessierten? Ob wir Verwandte in der Gegend hätten? In welcher Klasse ich
sei? Mindestens in unserem Schweigen waren mein Vater und ich uns einig: Wir
rückten nichts heraus. Hätte er gekonnt, so hätte mein Vater sich eine
Lebensgeschichte ausgedacht, nur um sie zum Schweigen zu bringen, aber seine
Phantasie war gebrochen wie sein Herz.
    Das zweite Haus, das wir besichtigten, hieß »Orchard Hill Farm« und
stand inmitten einer zwölf Morgen großen Apfelbaumpflanzung. Es war ein
schlichtes, aber gut instand gehaltenes Gebäude mit einer hellen zitronengelben
Küche, in der es selbst im März nach Äpfeln roch. Ich ging nach oben und fand
dort vier Zimmer mit weißen Vorhängen an den Fenstern und hohen Stapeln von
Steppdecken auf den Betten. Ich hätte mich am liebsten niedergelegt, um zu
schlafen und in New York wieder aufzuwachen.
    Mein Vater machte die Runde durch das Haus nur aus Höflichkeit.
Nebenan war nämlich ein Verkaufsstand, und auch wenn wir in Zukunft keine Äpfel
oder sonstwelche Erzeugnisse aus dieser zitronengelben Küche verkauften, konnte
es leicht ein oder zwei Jahre dauern, bis die ehemaligen Kunden es aufgaben,
hier zu läuten. Die Vorstellung, daß mein Vater immer wieder zur Tür gehen und
erklären würde, nein, dieses Jahr gebe es leider keinen Apfelmost, war absurd.
    Â»Ich habe noch etwas anderes«, sagte Mrs. Knight, »aber es ist
etwas außerhalb.«
    Zauberworte für meinen Vater. »Ich würde es mir gern ansehen«, sagte
er.
    Â»Man muß von der Hauptstraße aus noch ein gutes Stück fahren«, fügte
sie mit einem Blick auf den Saab und den kleinen Anhänger hinzu. »Nicht
unbedingt günstig, wenn Ihre Tochter täglich zur Schule muß.«
    Â»Ich möchte es mir trotzdem gern ansehen«, beharrte mein Vater.
    Â»Gut, dann nehmen wir aber den Kleinlaster von meinem Mann«,
entschied Mrs. Knight.
    Der Laster hoppelte die Zufahrtsstraße hinauf, rutschte, als auf
Schnee Matsch folgte. Das kleine Haus, zu dem eine Scheune gehörte, stand auf
einer Lichtung. Ich wußte auf den ersten Blick, daß mein Vater es nehmen würde.
Es war groß genug für uns zwei, und es stand leer, was mein Vater als Vorteil
werten würde: Es bedeutete, daß wir unverzüglich einziehen konnten.
Entscheidend aber war, daß es so einsam lag.
    Ich saß am kürzeren Hebel. Ich konnte nicht gut für das Haus mit der
fürchterlichen Toilette plädieren oder überzeugend darlegen, warum wir auf
einer Apfelplantage leben sollten. Aber wenn es nicht unser altes Haus in New
York sein konnte, war es mir eigentlich sowieso egal.
    Keine Stunde später hatte mein Vater sehr zum Entzücken der Maklerin
ein Angebot zum veranschlagten Preis gemacht. Bis zur Erledigung der
Formalitäten wohnten wir zehn Tage in einem Motel außerhalb des Orts. Mein
Vater fuhr mich jeden Morgen zur Mobil-Tankstelle, wo wir Milch und Doughnuts
kauften, und danach zur Schule. Als alles erledigt war, zogen wir ein.
    Ich nörgelte unaufhörlich. Der Schulbus würde es nicht mal halb bis
zu uns herauf schaffen, und ich hätte schon Blasen an den Füßen von dem
Fußmarsch. In meinem

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