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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
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gestopft mit Bildern, Büchern und merkwürdigen Mitbringseln von ihren Reisen. Sie war sehr belesen und wusste auf fast alle seine Fragen eine Antwort, und dabei waren ihre Erklärungen so lebendig und spannend, dass James interessiert zuhörte. Immerzu schallte Musik aus dem Grammofon oder dem Radio, und in den Töpfen auf dem Herd brutzelten exotische Speisen.
    In Pett Bottom fühlte James sich wie zu Hause. Er verbrachte seine Tage damit, die Gegend zu erkunden, Höhlen zu bauen, durch die Fluren zu streifen, dabei die Zeit zu vergessen und in dem kleinen Bach hinter dem Haus komplizierte Dämme zu errichten.
    Für James war es also vollkommen normal, von Land zu Land zu ziehen, bei verschrobenen Verwandten zu wohnen, mehrere Sprachen zu sprechen und den eigenen Vater nur selten zu Gesicht zu bekommen, dass er sehr überrascht reagierte, als seine Tante Charmian eines Tages zu ihm sagte: »Du bist ein seltsamer Junge, James. Die meisten anderen Kinder in deiner Situation wären wohl sehr unglücklich.«
    Zu der Zeit war James gerade elf Jahre alt. Es war Sommer und seine Eltern waren zum Klettern nach Aiguilles Rouges gefahren, einem Wintersportort in der Nähe von Chamonix in Frankreich. Sie wollten drei Wochen bleiben und so wurde James wieder einmal nach England zu seiner Tante geschickt. Er verabschiedete sich von seinen Eltern am Bahnhof von Basel, bevor er die lange Reise mit dem Zug und dem Schiff antrat. Seine Mutter hatte ihn auf beide Wangen geküsst und sein Vater hatte ihm kurz die Hand geschüttelt. Als der Zug sich in Bewegung setzte, hatte James aus dem Fenster geschaut und sie vom Bahnsteig aus winken sehen: seinen Vater, groß und ernst, und seine Mutter elegant, hübsch und nach der neuesten Mode gekleidet. Noch ehe der Zug außer Sichtweite war, hatte sein Vater sich bereits umgewandt und gleich darauf war er mit der Mutter hinter einer Dampfwolke verschwunden.
    James blickte seine Tante stirnrunzelnd über den Tisch hinweg an und überlegte, was sie wohl mit diesen Worten gemeint hatte. Charmian Bond war ebenso groß und schlank wie ihr Bruder, und auch wenn James von diesen Dingen nicht sehr viel verstand, so glaubte er doch sagen zu können, dass sie sehr hübsch war. Sie hatte pechschwarzes Haar, graue Augen und wirkte weder alt noch jung, was vielleicht daher rührte, dass sie keine Kinder hatte.
    »Warum sollte ich unglücklich sein?«, fragte er sie.
    »Oh, ich behaupte ja nicht, dass du es sein solltest. Ich bin sehr froh, dass du es nicht bist. Aber du wirst quer durch Europa geschickt wie ein verloren gegangenes Gepäckstück und musst nun den Sommer wieder einmal bei mir verbringen.«
    »Ich hab dich sehr gern, Tante Charmian«, sagte James geradeheraus. »Mir gefällt es hier in Pett Bottom. Mir gefällt dein Haus und mir schmeckt dein Essen.«
    »Ah, du bist ein Schmeichler James. Du weißt, wie man das Herz einer Frau anrührt. Jede Wette, dass du später einmal viele Frauenherzen brechen wirst.«
    James errötete.
    »Ich fürchte nur, das beschauliche Leben hier hat für einen heranwachsenden Jungen nicht allzu viel zu bieten«, fügte Charmian hinzu.
    James zuckte mit den Schultern. Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Im Grunde genommen hatte er darüber noch nie nachgedacht; er akzeptierte die Umstände so, wie sie waren.
    Charmian stand auf und fing an, das Geschirr abzutragen. »Wie wär’s, wenn wir morgen nach Canterbury fahren und ins Lichtspielhaus gehen?«
    »Das würde mir Spaß machen«, sagte James, denn er liebte es, ins Kino zu gehen.
    »Sie zeigen dort einen alten Film mit Douglas Fairbanks. Der Mann mit der eisernen Maske. Kennst du ihn? Ich glaube, er spielt D’Artagnan, der den wahren König von Frankreich aus den Fängen übler Schurken befreit.«
    »Ich habe ihn noch nicht gesehen«, sagte James. »Aber Die drei Musketiere haben mir gut gefallen.«
    »Gut, bestimmt schwingen die Helden sich von Kronleuchter zu Kronleuchter, springen von hohen Mauern herab und werden in aufregende Degenkämpfe verwickelt.« Charmian nahm ein Messer in die Hand und richtete es gegen James, der ihren Ausfall schnurstracks mit einem Löffel parierte.
    Nach dem Abendessen ging James noch ein wenig nach draußen. Es war ein vollkommener Sommerabend; die untergehende Sonne tauchte die Felder in ein goldenes Licht. In Gedanken noch bei Douglas Fairbanks öffnete James das kleine Tor in der Gartenmauer hinter dem Haus und ging in den kleinen Obstgarten, um an der Schaukel

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