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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Higson
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wollte ihnen etwas hinterlassen, an das sie denken sollten. Mit letzter Kraft riss ich ein paar Leitungen los und richtete eine Überschwemmung an. Wie ein Sturzbach schoss das Wasser aus den Tanks. Ich humpelte zum Fenster, brach es auf und schaute in die Nacht hinaus. Ich war vier Stockwerke hoch und es schneite.«
    »Was hast du dann gemacht?«, fragte James. Er stellte sich seinen Onkel vor, wie er in seinen zerlumpten Kleidern dastand und in die Tiefe starrte.
    »Ich habe fieberhaft überlegt«, sagte Max. »Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine Bewacher die Toilettentür öffneten und bemerkten, dass ich weg war. Obwohl die Außenseite der Festung kalt, nass und rutschig war, kletterte ich hinaus und schaffte es irgendwie, mich an einer alten Regenrinne festzuhalten und hinunterzurutschen. Es ging alles gut, bis ein Blechstück wegbrach und ich schätzungsweise die letzten zwanzig Fuß hinunterfiel und auf den harten Pflastersteinen des Hofes landete. Als ich aufstehen wollte, merkte ich, dass ich mir das Bein gebrochen hatte. Doch das konnte mich nicht aufhalten. Ich schaute nicht zurück, sondern humpelte und stolperte über den Hof, um mein nacktes Leben zu retten. Auf den Schmerz in meinem Bein achtete ich nicht, denn ich musste fürchten, jeden Augenblick eine Kugel in meinem Rücken zu spüren.«
    »Wo waren die anderen?«, fragte James. »Was geschah dann?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht wagten sie sich nicht in den Schnee hinaus oder suchten im Haus nach mir, vielleicht hat sie auch die Überschwemmung abgelenkt, ich habe jedenfalls keine Menschenseele gesehen. Gott sei Dank stand das Tor offen, durch das eine schmale Landstraße zu einer kleinen Brücke führte. Diese Brücke überspannte einen Kanal, und als ich dorthin kam, fuhr gerade ein großer Lastkahn mit Rüben vorbei. Ohne lange nachzudenken kletterte ich über das Brückengeländer. Lies mich auf einen großen Haufen Rüben fallen und versteckte mich darunter.«
    »Rüben?«, sagte James.
    »Ja, Futterrüben! Das ist es, womit mein großes Abenteuer schließlich endete. Eine zerlumpte, frierende Vogelscheuche von einem Mann, der sich unter einem Haufen Futterrüben versteckt. Willst du jetzt immer noch ein Spion werden Junge?«
    »Ich weiß nicht«, sagte James. »Aufregender als Bankmanager oder Briefträger ist es bestimmt.«
    Max lachte kurz und heiser. »In dieser Nacht hätte ich alles darum gegeben, ein Briefträger zu sein«, sagte er. »In einer schattigen englischen Straße die Runde zu machen … Ich bin beinahe gestorben in jener Nacht James. Es war bitterkalt und mein gebrochenes Bein brannte heiß. Ich aß einige von den rohen Futterrüben, um zu Kräften zu kommen – seitdem kann ich keine mehr sehen. Aber irgendwie habe ich bis zum Morgen durchgehalten und die schwache Sonne erwärmte mich etwas. Wir tuckerten dahin, den ganzen Tag und auch den nächsten, ich hatte keine Ahnung, wohin wir fuhren, und es interessierte mich auch nicht sonderlich. Ich fieberte. Hin und wieder verlor ich das Bewusstsein. Irgendwann hielten wir an einer Schleuse. Ich muss für kurze Zeit bei klarem Verstand gewesen sein, denn mir wurde bewusst: Je länger ich auf diesem Lastkahn blieb, desto größer wurde die Gefahr, entdeckt zu werden. Deshalb sprang ich vom Schiff und versteckte mich im Wald … Abermals hatte ich jedes Zeitgefühl verloren, die Tage kamen und gingen, Fieber überkam mich in Wellen und ich war völlig von Sinnen. Ich muss für zwei, vielleicht drei Wochen allein im Wald gewesen sein. Während dieser Zeit versuchte ich wilden Tieren nachzustellen und ernährte mich von Wurzeln und Beeren. Ich lebte kaum besser als ein Tier.
    Ich stahl einige Kleidungsstücke aus einem Waldarbeiterlager und schiente mein Bein, so gut ich konnte, aber ich wurde mit jeder Minute verzweifelter und schwächer. Wie lange kann ein Mensch so überleben? Am Schluss retteten mich Schutzengel, mit denen ich am wenigsten gerechnet hätte – deutsche Deserteure.«
    »Deutsche?«, sagte James. »Tatsächlich?«
    »Ja. Diese Soldaten hatten die Nase voll vom Kämpfen. Sie waren vor dem Krieg weggelaufen und lebten wie die Wilden in den Wäldern. Sie gaben mir zu essen und kümmerten sich um mich, bis ich kräftig genug war, um mich über die Berge in die Schweiz abzusetzen. Das war das Ende meines ruhmreichen Kriegs. Keine Orden, nur ein hinkendes Bein.«
    »Das wusste ich alles nicht«, sagte James.
    »Wie schon gesagt«, murmelte Max, »ich habe es

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