Stiller Tod: Thriller (German Edition)
sie, steigt in ihr Bühnenoutfit und schafft es gerade noch rechtzeitig zu den ersten Takten von »I Bruise Easily«. Der Laden ist voll: die üblichen weißen Gesichter, der übliche Gestank nach Hochprozentigem und Zigaretten und Männerschweiß. Dawn überlässt ihren Auftritt ganz dem motorischen Gedächtnis, will die Minuten zwingen, schneller zu vergehen, in Gedanken bei ihrem Kind.
Sie geht ab, nackt und verschwitzt, die Klamotten in der Hand. Dennis, der andere Rausschmeißer, drückt sich hinter der Bühne rum. Er ist mit Costa verwandt und arbeitet in den Nächten, in denen Vernon seinen Sniper-Job macht. Dennis ist irgendwie immer in Dawns Nähe, sein Blick wie Schleim auf ihr.
Sie schiebt sich an ihm vorbei und stürmt in die Garderobe, will sich anziehen und direkt in Costas Büro gehen und bei ihrem Kind sein. Es gibt nicht mehr viel, was Dawn schocken könnte, aber derAnblick, der sich ihr jetzt bietet, ist für sie ein Riesenschock: Brittany sitzt auf dem langen Schminktisch in der Garderobe, rechts und links von ihr die beiden Hässlichen Stiefschwestern, nacktes Fleisch baumelnd wie Kadaver im Schlachthof. Die Fette toupiert die Haare des Kindes zu einem blonden Heiligenschein, die Dünne beschmiert sein Gesicht mit dickem Make-up. Der Raum ist vernebelt von Tik-Rauch, und die beiden Tussen lachen wie verstopfte Abflüsse über ihr Werk.
»Was soll das?«, ruft Dawn. Brittany blickt benommen zu ihr hoch.
Die Fette dreht sich um und sagt: »Ha, Mommy ist wieder da!«
»Wo ist Costa?«, fragt Dawn.
»Hatte zu Hause irgend ’nen Notfall und hat dein kleines Blondchen bei den netten Tanten gelassen.« Ein kreischendes Lachen.
Dawn ist drauf und dran auszuholen, zu schlagen und zu treten und ernsthaften Schaden anzurichten, als sie hinter sich Dennis hört.
»Dawn«, sagt er.
»Scheiße, Dennis, jetzt nicht!« Sie fährt wütend herum, doch statt Dennis steht eine verkniffen aussehende braune Frau in Rock und Blazer und Pumps vor ihr.
»Ms. Cupido«, sagt Merinda Appolis. »Ich war zu einer Routinekontrolle bei Ihnen zu Hause. Da ich Sie nicht angetroffen habe, dachte ich, ich versuch’s mal an Ihrem Arbeitsplatz. Und ich bin sehr froh, dass ich mich dazu entschieden habe.« Das Miststück von Sozialarbeiterin genießt den Augenblick so richtig. »Sie werden innerhalb der nächsten zwei Tage vor Gericht erscheinen. Ich werde beantragen, Ihnen das Kind wegnehmen zu lassen und es an einen sicheren Ort zu bringen.«
»Das können Sie nicht machen!«, sagt Dawn mit einer Stimme, die ganz fremd klingt.
»O doch, ich kann, Ms. Cupido. Und ich werde.«
Appolis vollführt auf ihren kleinen Absätzen eine zackige Kehrtwende und stöckelt hinaus. Dawn reißt das Handy aus ihrer Tasche, hebt Brittany vom Schminktisch, trägt sie zur Toilette und drücktdabei eine Kurzwahltaste, will nichts sehnlicher als die Stimme des Mannes hören, der ihr von allen Menschen auf Gottes weiter Welt am meisten verhasst ist.
KAPITEL 25
Als Vernon sein Handy aus einer der Taschen in der kugelsicheren Weste fischt – der »Private-Dancer«-Klingelton verrät ihm, dass es Dawn ist –, sieht er die Lichter von Exleys Audi-Cabrio durch den Busch zucken, während der Wagen die letzte Kurve vorm Haus nimmt. Vernon lässt Dawn auf die Mailbox sprechen und steigt aus dem Sniper-Pick-up. Er pflanzt sich mitten auf die schmale Straße und hebt den rechten Arm, um Exley anzuhalten, wobei er mit dem anderen die Augen gegen die Halogenscheinwerfer abschirmt.
Exley stoppt, die Reifen knirschen auf Schotter, und Vernon geht vorbei an dem heißen Kühler des Wagens mit den markanten, wie durch Zauberhand ineinander verschlungenen vier Ringen. Das Verdeck des Audi ist geöffnet, Exleys Haare gelb im Lichtkreis der Straßenlampe.
»Vernon«, sagt Exley.
»Nick.« Vernon stützt sich auf die Tür des Audi, nimmt das Gewicht von seinem kaputten Bein, das jetzt schmerzhaft puckert, nachdem er zwei Stunden vor dem Haus gesessen und gewartet hat.
»Ist was passiert?« Vernon riecht Exleys Alkoholfahne. Scotch, vermutet er.
»Ja, Nick, wissen Sie, Mrs. E ist heute Nachmittag ein bisschen durchgedreht.« Er liefert eine gekürzte Version der Ereignisse vor dem Haus der Stankovics.
Exley schüttelt den Kopf und massiert sich die Augen unter der Brille. »Mein Gott, Vernon. Vielen Dank, dass Sie sich darum gekümmert haben.«
»Halb so wild, mein Freund. Aber ich glaube, Sie haben da noch ein kleines Problem.«
»Caroline reagiert
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