Stiller Tod: Thriller (German Edition)
gewusst, dass sie tot war, oder? Du hast gewusst, dass sie tot war, hast gewusst, dass mein Kind tot war, und hast dich trotzdem auf sie gelegt und sie mit deinem Atem gefüllt wie eine Gummipuppe!«
Er versucht, wieder ihren Arm zu nehmen, doch sie ohrfeigt ihn, kreischt, schlägt ihn, ihre Fäuste nutzlos gegen seine Schutzweste. Ein Wagen hält vor dem Haus nebenan, und eine helle Frau scheucht ihre glotzenden Kinder in die Garage, während das Rolltor sich schließt.
Der Wachmann ist hinter Caroline getreten, legt die Arme um sie, der Rock rutscht ihr hoch über die Schenkel, ihre blassen, sommersprossigen Beine strampeln in der Luft. »Was? Wolltest du sie ficken?«
Zwei stämmige schwarze Hausangestellte, die Schürze und Haube tragen und flauschige Schoßhündchen Gassi führen, bleiben stehen und gaffen, und Caroline spürt ihre Xhosa-Klicklaute wie Schläge ins Gesicht.
Irgendwie reißt sie sich aus Vernon Sauls Umklammerung los und landet, noch immer schreiend, auf allen vieren. Sie geifert und weint, Rotz hängt ihr aus der Nase. Endlich rappelt sie sich hoch und rennt zu ihrem Landrover, zieht sich auf den Fahrersitz, kämpft mit Lenkrad und Pedalen und Schaltung und fährt ruckelnd den Berg hinunter.
Hinunter in Richtung des lockenden Meeres und des leeren seelenlosen Hauses. Hinunter in Richtung des totalen durchgeknallten Wahnsinns.
KAPITEL 23
Auf dem zweistündigen Rückflug nach Kapstadt klappt Exley den Laptop auf und optimiert sein Modell von Sunny. Doch die ganze Zeit nagt ein Gefühl von Entwurzelung an ihm, raubt ihm die Konzentration. Er schließt die Augen und sucht nach einer Erinnerung an seine Tochter am Morgen ihres Geburtstages, will unbedingt Nähe zu ihr spüren. Aber er kann Sunnys Gesicht nicht finden – ihr reales Gesicht. Er kann nur die digitale Version heraufbeschwören, die er geschaffen hat.
Eine Stewardess bringt ihm einen Scotch, seinen zweiten – oder vielleicht dritten. Er fährt den Laptop runter und legt ihn beiseite, spürt das angenehme Brennen des Whiskys auf der Zunge, versucht, den Nachmittag Revue passieren zu lassen. Er bekommt nur eine Abfolge von Standbildern zusammen. Anscheinend hat er mit genug Überzeugungskraft gesprochen und die Gläubigen mit genug Zauberkunststücken betört, denn als er vom Podium ging, schlug ihm lauter Applaus entgegen, und junge milchgesichtige Computerfreaks drängelten sich um ihn und bombardierten ihn mit Fragen.
Exley, schlapp vor Erschöpfung, verschwand in der Dunkelheit und überließ es Chalmers, ein Ablenkungsmanöver zu starten, indem er die Interessenten mitsamt ihren Kreditkarten zu einer Cocktailbar dirigierte, die irgendwie an einer Seite des Studios aufgetaucht war, Loungemusik und Barkeeper mit Fliege inklusive.
Ehe Exley nach draußen verschwand, wo schon der Wagen wartete, rief er spontan einen Loop mit der tanzenden Sunny auf und schickte ihn auf die Reihen von Monitoren. Er begann mit einem Drahtgittermodell der tanzenden Sunny, kahles weißes Raster auf Schwarz, bis daraus allmählich sein voll gerendertes und texturiertes Kind wurde.
Ein paar Leute, Drinks und Snacks in der Hand, stockten mitten im Gespräch und wandten sich den Bildschirmen zu. Weitere taten es ihnen nach. Ehrfürchtige Stille trat ein, als Gespräche abbrachen und verstummten.
Während Exley in einen vor Luftverschmutzung blasslilafarbenen Sonnenuntergang hineinfliegt, müsste er eigentlich froh sein über den Beweis, mit der Rückholung seiner Tochter die Kluft zwischen dem Imaginären und dem Realen transzendiert zu haben, Pixel für Pixel. Aber er ist erschüttert von der Erkenntnis, dass Sunny in seiner Erinnerung für immer von etwas verdrängt worden ist, das er aus Nullen und Einsen erschaffen hat. Und wenn er daran denkt, nach Hause zu kommen und seiner Frau zu begegnen, empfindet er pure Verzweiflung. Sunny war der Leim, der sie zusammengehalten hat, und jetzt, wo sie nicht mehr da ist, wird klar, was er und Caroline in Wahrheit sind: feindliche Fremde. Nicht mal in Trauer vereint. Wenn überhaupt, noch weiter auseinandergetrieben.
Der Getränkewagen, geschoben von einer schwarzen Stewardess mit grausam geglättetem Haar, taucht wieder neben ihm auf, und Exley verlangt noch einen doppelten Scotch pur. Die Frau reicht ihm den Drink in einem kleinen Plastikbehälter. Wie eine Urinprobe.
Er kippt ihn mit zwei Schlucken in sich hinein, wünscht sich nichts sehnlicher, als nicht mehr jeden Gedanken und jede Erinnerung wie den
Weitere Kostenlose Bücher