Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Sir?«
Exley fängt Vernon Sauls Blick auf, der auf die Veranda zutrottet, und merkt, dass er aus seiner Rolle geschlüpft ist. Dass er kurz davor ist, sich selbst zu belasten. Also taumelt er zurück in die Rolle des Unschuldigen und erzählt dem Captain, wenn er nur fünf Minuten früher nach Hause gekommen wäre, hätte er es verhindern können. Erzähltihm, wie er die Küche betrat, in der das Blut seiner Frau auf den Fliesenboden rann. Wie er mit dem Eindringling kämpfte und ihn zur Flucht zwang, doch zu spät, um Caroline zu retten.
Genau wie er zu spät kam, um seine Tochter zu retten. Das Evangelium nach Vernon Saul verleiht diesen beiden Tragödien eine elegante Symmetrie.
Macht Exley zum Opfer.
Frei von Sünde.
Frei von Schuld.
Die müden Augen des Captains erteilen Exley die Absolution, und dann ist er weg, und die Zeit beschleunigt sich: Das leere Haus füllt sich innerhalb einer Nanosekunde. Noch mehr Cops. Noch mehr Sanitäter.
Ein blasser Mann mit geschorenem Kopf, der allein auf der Veranda steht, seine Silhouette von der Glastür verzerrt, dreht sich um und fixiert Exley. Dann ist er verschwunden, der Arzt, der Sunny für tot erklärt hat, und als ein Kamerablitz detoniert, sieht Exley ihn in der Küche über Caroline gebeugt, wie er blutige Latexhandschuhe abstreift, deren Finger sich dehnen und wieder zusammenschnurren, als er die Handschuhe in seine Notfalltasche wirft.
Exley hebt die linke Hand. Sie ist verbunden, die Innenfläche fest verklebt, und er erinnert sich vage, dass dieser Mann ihn verarztet hat. An den Ammoniakgeruch, der aus seinem weißen Kittel stieg.
Ein Geräusch wie wütende Bienen lässt Exley aufschrecken. Der Reißverschluss des Leichensacks. Er sieht, wie Sunnys weißes Gesicht von dem glänzenden schwarzen Plastik verschluckt wird, aber der Sack, den sie jetzt raustragen, ist zu groß, um ein Kind zu enthalten, also muss es Caroline sein, blutig und kalt, die darin liegt.
Exleys Blick wird von der Dunkelheit draußen auf dem Strand angezogen, wo seine Frau, durchnässt, die Arme um sich geschlungen, Sunnys Leiche umkreist, und dann ist sie an Exley gepresst, ein Blutschwall spritzt aus ihrem Mund, durchtränkt sein Leinenhemd, wärmt die Haut seiner Brust.
Exley macht dicht, das Sofa umgibt ihn wie eine Soft Sculpture von Oldenburg, Reizüberflutung lässt seine Leitungen zusammenbrechen und macht ihn quasi komatös, taub und blind für die Männer, die um ihn herum die postmortalen Rituale absolvieren.
Er zieht sich so tief in sich selbst zurück, dass er weder die Schüsse noch die Schreie der aufgeschreckten Möwen hört.
KAPITEL 27
Es ist Vernon Sauls Nacht. Wenn er das Drehbuch dazu geschrieben hätte, es hätte nicht besser laufen können. Der schwarze Captain – in Freizeitkleidung, als wäre er direkt von zu Hause gekommen – gibt Anweisungen, versammelt seine Männer auf der Veranda. Ein Bürokrat, kein echter Bulle, den nur interessiert, am Ende selbst gut dazustehen. Und ein Aufsehen erregender Mord, der ungelöst bleibt, würde seinen Aufstieg auf der Karriereleiter verlangsamen, also wird er sich darauf konzentrieren, den Fall so schnell wie möglich zu den Akten zu legen. Es geht nicht um Gerechtigkeit, es geht um seine Aufklärungsrate.
Ein Zahlenspiel.
Vernon, unauffällig zwischen den Kriminaltechnikern, hat gelauscht, während der Schwarze Exley vernahm, der mit seiner verbundenen Hand und dem blutigen Hemd aussah, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Er suchte nach Worten. Faselte. Sprach über seine tote Tochter und im nächsten Moment über seine tote Frau.
Aber er hält sich an die vereinbarte Version. Konfus, ja, aber dadurch wirkte sie nur umso glaubwürdiger. Ein Mann unter Schock. Ein Mann, der eine grauenhafte Woche durchgemacht hat. Aber kein Mörder.
Der Captain weist die uniformierten Cops an, die Felsen auf der rechten Seite vom Strand abzusuchen, wohin der Täter laut Exleys Aussage geflohen ist, und Vernon sieht zu, wie sie fluchend durch die Gegend schlittern, sich mit wippenden Taschenlampen über die glitschigen Steine kämpfen. Einer fällt hin, seine Dienstwaffe im Holster scheppert auf Stein.
Vernon geht raus auf die Straße, vorbei an dem Knäuel aus Polizeibussen und Rettungswagen, ein paar Sanitäter stehen am Straßenrand und rauchen, einer von ihnen lacht leise. Er lässt seinen Pick-up an und fährt bis zum Ende der Sackgasse, in die Dunkelheit. Er macht die Scheinwerfer aus und vergewissert sich,
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