Stiller Tod: Thriller (German Edition)
seiner Mutter und ihrem Meisterscharlatan: ein Flickwerk aus fernöstlicher Philosophie, auf griffige Slogans reduziert und mit New-Age-Schwachsinn zusammengekleistert.Als er den Aschram verließ, warf er die Überzeugungen seiner Mutter ebenso über Bord wie das lächerliche weiße Gewand, den Turban und den Namen Narayan, der fast zehn Jahre lang Nicholas ersetzt hatte.
Getrieben von irgendeiner undefinierbaren Sehnsucht hat Exley schon wieder das Telefon in der Hand, drückt den Kurzwahlknopf, lauscht dem leisen Summen irgendwo weit weg.
Eine unnahbare Stimme, geschlechtslos, staatenlos, strotzend vor Erleuchtung, meldet sich.
»Namaste.«
»Ich möchte Joan Exley sprechen«, sagt Exley, bewusst trotzig.
»Es gibt hier niemanden, der so heißt.«
»Dann eben Durgananda. Geben Sie mir Durgananda.«
»Sie ist im Kontemplationskurs.«
»Hier spricht ihr Sohn. Es ist dringend.«
»Sie darf nicht gestört werden.«
»Es hat einen Trauerfall gegeben. In der Familie.«
»Swami Durgananda hat sich von ihrer Familie losgesagt.«
»Lassen Sie mich mit ihr sprechen.«
»Sie wünscht das nicht.«
»Sagen Sie meiner Mutter, dass ihre Enkeltochter tot ist.«
»Swami Durgananda hat keine Enkeltochter.«
»Stimmt. Weil sie nämlich tot ist.«
»Den Tod gibt es nicht.«
Exley beendet das Gespräch und starrt in die Nacht. Und ob es den Tod gibt, du Arschloch, und wenn er kommt, dann kommt er nicht in einem weißen Raunen mit einem Chor von säuselnden Engeln oder tanzenden Apsaras, er kommt mit Blut und Kot und Pisse und klaffendem Fleisch, und er stinkt nach Verderbnis.
Vielleicht hat seine Mutter ja Glück, dass sie durch Alzheimer und ihren Sektenkult von der Wirklichkeit isoliert ist. Exley trinkt einen Schluck und erlaubt sich zum ersten Mal seit Jahren, an den Aschram bei Taos zurückzudenken, in dem Jungen und Mädchen in separatenSchlafsälen untergebracht waren, getrennt von ihren Eltern. In der Küche und auf den Feldern arbeiteten. Unterricht in einem niedrigen Bunker hatten, Hindu-Gesänge chanteten wie Papageien, die knorrigen, nach Gorgonzola stinkenden Füße des bärtigen Gurus küssten – ein ehemaliger Busfahrer aus Bombay –, wenn er hereingeschwebt kam, Weisheiten und anzügliche Blicke verteilte, mit von Betelnuss rot gefärbten Zähnen durch das Dickicht seines ZZ-Top-Bartes lächelte.
Als etliche Mädchen den Guru beschuldigten, sich an ihren unteren Chakras vergriffen zu haben, wurde er verbannt, der Aschram versank im Chaos, und Exley konnte die Highschool in der nächstgelegenen Stadt besuchen.
Nachdem er zuerst wegen seiner Gewänder und seines blöden Hindu-Namens verlacht worden war, wechselte er rasch zu Jeans über, wurde wieder zu Nick, entfernte sich weiter von seiner Mutter, und Nirwana wurde zu Nirvana, während er in einer Welt voller Grunge-Rock, Skateboards und Computer versank.
Als er ein Stipendium erhielt, um an einem kalifornischen College Digitalkunst zu studieren, war seine Mutter – inzwischen eine der Ältesten im Aschram, eine Hüterin der Flamme – offenbar froh, ihn loszuwerden. Sie lernte Caroline nie kennen. Sah Sunny kein einziges Mal. Er schickte ihr Fotos, wusste aber nicht, ob die es durch das Bataillon von Zensoren schafften, die die Post abfingen.
Exley leert sein Glas und geht rein, um sich noch einen Drink zu machen. Er braucht einen Platz zum Schlafen – das eheliche Schlafzimmer kommt nicht in Frage –, und er nimmt den Gin Tonic mit nach oben, trinkt immer mal wieder einen Schluck, während er sich ein Bett im Gästezimmer bereitet, einem unpersönlichen Kabuff voller unausgepackter Kartons mit Blick auf den Berg.
Als er alles fertig hat, ist sein Glas leer, und er nimmt Kurs auf die Treppe. Unwillkürlich macht er einen Umweg in Sunnys Zimmer, setzt sich im Dunkeln auf ihr Bett, atmet ihre Präsenz ein. Er knipst die Lampe an, und auf einmal ist er dabei, ein paar von ihren Lieblingssachen aufzusammeln: das Stofftier, mit dem sie immer eingeschlafenist, eine Zeichnung, ein Kleidungsstück, und er geht damit nach unten ins Studio.
Er folgt irgendeinem primitiven Impuls – wie ein pazifischer Inselbewohner mit seiner Cargo-Kult-Beute – und plaziert die Fetischobjekte auf seinem Arbeitstisch, wo Sunnys Gesicht ihn vom Monitor anlächelt.
Als seine Hand die Maus findet und er Sunnys Modell aufruft und sie tanzen sieht, stört es Exley nicht mehr, dass er diese Nachbildung seiner Tochter durchschaut. Er beginnt, wieder zu arbeiten, und
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