Stiller Zorn: Roman (German Edition)
um eine Angelegenheit, die eine gewisse Diskretion erfordert. Ihr Name wurde durch gemeinsame Freunde ins Spiel gebracht. Und es handelt sich um eine Sache, die nur ein Bruder übernehmen kann.«
Der »Bruder« hätte mich warnen sollen; ich hätte aufstehen und gehen sollen. Und wenn wir irgendwelche gemeinsamen Freunde hatten, würde ich nächstes Jahr eine ehrliche Steuererklärung abgeben.
»Sie haben gewiss schon von Corene Davis gehört?«, sagte der Schwarze. Als ihr Name fiel, hob Café au lait die Hand in Brusthöhe und ballte sie zur Faust. Der alte Mann mit den Löffeln schaute in unsere Richtung und schniefte.
Ich wusste, wie ihm zumute war.
»Ich habe das Time Magazine abonniert, genau wie alle andern auch«, sagte ich.
»Wir – womit ich unsere Gruppe meine –, wir hatten hier in New Orleans einen Vortragsabend mit ihr organisiert. Es gab darüber heftige Diskussionen, wie Sie sich vermutlich vorstellen können. Ein Schwarzenführer, eine schwarze Frau zumal, und das im tiefsten Süden.« Wieder schaute er sich in der Kneipe um. Wir drei waren die einzigen Schwarzen. Ich nehme an, das bestätigte ihn in irgendwas. »Viele ihrer Anhänger hielten das für unklug.«
Bobbie brachte mir ein neues Bier. Vielleicht meinte sie, ich könnte eins brauchen.
»Jedenfalls«, fuhr der Schwarze fort, »hätte die Sache am achtzehnten August um acht Uhr abends im Municipal Auditorium stattfinden sollen. Sie wollte frühmorgens hier eintreffen und vor Studenten an der Tulane und der Loyola University sprechen. Das hat sie immer gemacht, wenn sie irgendwo hinkam. Zu Studenten gesprochen, meine ich.«
»Die Streitmacht von morgen«, fügte Café au lait hinzu. Ich schaute auf seine Hand. Sie blieb an Ort und Stelle.
»Am Abend des siebzehnten, um zweiundzwanzig Uhr fünfzehn«, fuhr Blackie fort, »stieg Corene Davis in Idlewild in eine Nachtmaschine nach New Orleans. Es war ein Direktflug, und etliche ihrer Anhänger sahen sie an Bord gehen. Als wir sie hier in New Orleans in Empfang nehmen wollten– wir sind eine hiesige Ortsgruppe, müssen Sie wissen –, war sie nicht in der Maschine. Und seither hat man nichts mehr von ihr gehört.«
»Und ihr befürchtet …«
»Dass man sie entführt hat.«
»Oder Schlimmeres«, fügte Au Lait hinzu.
»Sie hatte viele Feinde im Establishment«, sagte Blackie. »Das können Sie doch sicherlich nachvollziehen.«
»Das schon. Aber ihr braucht die Polizei, nicht mich.«
Die zwei schauten einander an.
»Das soll wohl ein Witz sein«, sagte Au Lait schließlich.
Blackie schaute wieder mich an. »Ihnen ist doch sicherlich klar, dass dabei nichts Gutes herauskommen kann, Mister Griffin.«
»Tja. Na ja, ich glaub schon.« Ich trank das Jax aus, das ich vor mir stehen hatte, und winkte Bobbie zu, dass ich noch eins wollte. »Und was genau erwartet ihr von mir?«
»Wir erwarten, dass Sie sie finden , Mann.«
»Beziehungsweise herausfinden, was aus ihr geworden ist«, sagte Au Lait .
»Aha. Liegt eine Lösegeldforderung vor, irgendwas dergleichen?«
»Nicht das Geringste. Überhaupt nichts.«
»Und ihr habt das nicht an die Presse weitergegeben, oder an die Polizei? Was habt ihr den Leuten erklärt, als sie nicht aufgetreten ist?«
»Wir haben’s vertuscht, mein Freund, einfach vertuscht.« Ich hatte den Verdacht, dass mich Blackie nicht besonders leiden konnte. »Niemand weiß was davon, bis auf uns und unsere Leute in New York. Und jetzt Sie.«
»Vielleicht will sie nicht, dass man sie findet – habt ihr euch das schon mal überlegt?«
»Corene? Die war engagiert. Eine aufrechte Kämpferin.«
Ich zuckte die Achseln. »Bloß ’ne Idee. Okay, ich schau mir die Sache mal an. Aber ich brauch ein paar Auskünfte von euch.« Ich holte mein Notizbuch raus und schrieb mir die Flugnummer, die Abflug-und die Ankunftszeit auf. »Ist sie schon mal in New Orleans gewesen?«
Er schüttelte den Kopf. »Weshalb wollen Sie das wissen?«
»Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er steigt dort ab, wo er schon mal abgestiegen ist, er isst das Gleiche. Aber hauptsächlich geht’s darum, dass ich mich in die Sache einfühlen will. In ihre Gewohnheiten, Hobbys, ihre Vorlieben.«
»Ihre Arbeit war ihr Leben.«
»Ganz recht«, sagte Au Lait .
Die Geschäftsleute hatten sich verzogen, desgleichen etliche Seeleute und einige der Mädchen. Ein Loddel in einem gelben Anzug und zwei Jungs, die wie Drogenfahnder aussahen, hatten ihre Plätze eingenommen. Der alte Mann mit den Löffeln
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