Stille(r)s Schicksal
Telefonhörer auf und verschwand auf der anderen Seite des Flurs.
Sven wunderte sich, dass ihm statt des erwarteten Geruchs nach Desinfektionsmitteln der Duft eines blumigen Parfums in die Nase stieg.
"Guten Tag!" Sven lehnte sich vorsichtshalber an den Pfosten der Glastür, der Weißkittel brauchte schließlich nicht zu sehen, dass er vor lauter Aufregung zitterte.
Als ihn ihr fragender Blick traf, beeilte er sich zu sagen: "Könnten Sie mir bitte sagen, wo Anne Hellwig liegt?"
Noch ehe sie antworten konnte, fuhr er zu seiner eigenen Überraschung fort: "Ich bin nämlich ihr Verlobter!"
Er erschrak über seine eigene Tollkühnheit.
Sven fühlte, wie ihm wieder einmal diese verräterische Röte ins Gesicht stieg und ärgerte sich.
Immer noch schaute ihn der Weißkittel aus großen, runden Augen an. Zweifelnd, wie ihm schien.
"Soso, ihr Verlobter?" fragte sie da auch schon und musterte ihn weiter unverhohlen.
Sven nickte heftig, um seine Behauptung zu bekräftigen.
Da nickte auch sie, ein wenig nachdenklich zwar, wie es ihm vorkam, aber immerhin. Obwohl er vermutete, dass ihre Zweifel noch nicht ganz ausgeräumt waren, streckte sie ihm unerwartet ihre rechte Hand entgegen und lächelte.
"Na gut", sagte sie, "das ist mir zwar neu, aber schlecht wäre es keinesfalls, Herr Stiller, das sind sie doch?"
Woher wusste sie seinen Namen? Die Überraschung ließ ihn noch tiefer erröten.
In all das Durcheinander hinter seiner Stirn drang nun auch noch ein weiterer Satz vor.
"Eigentlich warten wir hier schon lange auf Sie!"
Was? Die warten hier schon lange auf mich?
fragte sich Sven und glaubte das Opfer einer Verwechslung zu sein.
"Bevor Sie zu Frau Hellwig gehen, möchten Sie unbedingt noch zum Chef kommen, Herr Stiller", hörte er. Vielleicht doch keine Verwechslung?
Meinte sie also tatsächlich ihn - Sven Stiller? Was ging hier eigentlich vor? Hatte Anne den Leuten hier von ihm erzählt? Hatte sie ihn also gar nicht vergessen? Fragen über Fragen schossen ihm durch den Kopf. Freude und Angst, Hoffnung und Ratlosigkeit ließen sein Herz schmerzhaft gegen die Rippen hämmern.
Seine Gesichtsröte wich einer tiefen Blässe.
Die junge Frau hatte den Wechsel seiner Gesichtsfarbe auch bemerkt, lächelte ihm wohl deshalb besonders aufmunternd zu.
"Kommen Sie, ich bringe Sie zum Chef!"
Sven folgte ihr mechanisch den langen Gang entlang.
"Chefarzt Dr. Ohnesorg", las er schließlich leise, "da kann ja nichts schiefgehen."
Die junge Frau im gestärkten weißen Kittel achtete nicht auf sein Gemurmel, sie hatte schon geklopft und die Klinke niedergedrückt.
"Herr Stiller ist hier, Herr Chefarzt."
Mit einem grüßenden Nicken hatte sie sich sogleich wieder zurückgezogen.
Dr. Ohnesorg klappte den vor sich liegenden Aktendeckel zu und schaute über den Brillenrand, nahm die Brille schließlich ab, begrüßte seinen Besucher überaus freundlich und bat ihn, sich zu setzen.
Soviel Freundlichkeit war Sven nicht geheuer. Was war mit Anne?
Dr. Ohnesorg war inzwischen aufgestanden, drehte die Brille nun wieder nervös in den Händen, lief in dem kleinen Raum wie ein Gefangener hin und her. Dabei sprach er ununterbrochen und er sah aus den Augenwinkeln, wie sein Gast mit jedem seiner Worte immer mehr in sich zusammensank.
Als Sven schwer atmend das Zimmer des Chefarztes verließ, war er noch blasser als zuvor. Seine Knie begannen sofort wieder zu zittern, wenn er daran dachte, was ihm dieser Dr. Ohnesorg sehr ernst und scheinbar ganz ruhig eröffnet hatte:
Anne war schwanger. Doch diese gute, wenn auch überraschende, Nachricht wurde von der nachfolgenden dunkel überschattet: Anne hatte Krebs.
Diese Mitteilung hatte er wie einen brutalen Schlag in die Magengrube empfunden, ihm war auf einmal schlecht geworden. Nach einigen Schlucken aus dem schnell herbeigeholten Wasserglas, hatte ihm der Chefarzt dann noch, wenn auch mit ganz vorsichtigen Worten, zu verstehen gegeben, dass in Annes Fall nicht mehr viel Hoffnung auf Heilung bestünde.
Da war er aufgesprungen, hatte sich nicht darum gekümmert, dass dabei der Stuhl umgefallen war. Er wollte nur heraus aus diesem Zimmer, weg von diesem Doktor mit diesem irreführenden Namen.
Es durfte und konnte einfach nicht sein, dass er nun, da er Anne endlich wieder gefunden hatte, sie womöglich bald wieder verlieren sollte! Nein, nein und nochmals nein!
Er blieb stehen, hielt sich an einem Fensterbrett fest, atmete mehrmals tief durch. So, jetzt war er wohl imstande, Anne
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