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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Kunze
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Mutters Plätzchen und ihren sogenannten Adventskuchen, der so gut nach Zimt und Ingwer geschmeckt hatte, dass bald kein Krümel mehr davon übrig gewesen war. Nach der Arbeit hatte Vater oft mit vollem Kuchenbauch Klavier gespielt. Dann hatten sie sich meist zu ihm gesetzt, Weihnachtslieder gesungen oder einfach nur seinem Spiel gelauscht.
    Die Stimme ihrer Schwiegermutter, Anne empfand sie, wie Sven auch, noch immer als schrill, holte sie erbarmungslos in die Gegenwart zurück.
    „ Helmut“, schrie Margot, „steig doch mal auf die Leiter und knipse die Gardinen ab. Ich will gleich noch die Fenster putzen!"
    Sie stand schon an der Treppe, den Eimer in der einen, die Putzutensilien in der anderen Hand.
    Doch bevor Helmut auf die Leiter steigen konnte, musste er sie erste einmal holen. Dabei wusste er noch nicht einmal, wo er sie suchen sollte. Er bedauerte, nicht mehr zur Arbeit gehen zu können, da wäre ihm diese hektische Betriebsamkeit erspart geblieben. Wozu die Weiber überhaupt so ein Wesen vor den Festtagen machten, würde er nie begreifen. Doch er hütete sich, seine Gedanken laut werden zu lassen.
    Er fügte sich in letzter Zeit überhaupt immer öfter.
    Hatte ihm Margot, seit sie beide zu Hause waren, das Zepter unbemerkt aus der Hand genommen?
    Knapp vier Jahrzehnte lang war er der Chef gewesen, Frau und Kinder hatten zu spuren, denn schließlich war es, der Vater, der das meiste Geld nach Hause brachte.
    Er konnte es selbst kaum glauben, wie brav er jetzt schon wieder über den Hof trottete, um die Trittleiter zu suchen. Er vermutete sie im Schuppen, aber bei Sven konnte man ja nie wissen …
    Es pfiff ein kräftiger, kalter Wind in den Flur.
    „ Mach die Tür zu, es zieht", schimpfte Margot ihm nach, „die Kleine wird sich zu allem Unglück auch noch erkälten!"
    Mit der Kleinen war natürlich Anne gemeint, die oben im Schlafzimmer gerade versuchte, die Betten abzuziehen. Ein Kopfkissen hatte sie bisher geschafft, als die Schwiegermutter ihr auch schon zu Hilfe eilte. Anne war sichtlich zu schwach für solche Arbeiten.
    "Lass´ man, ich mach´ das schon", sagte Margot Stiller und nahm ihr das zweite Kissen einfach aus der Hand.
    Doch Anne konnte diesen Satz kaum noch ertragen. Nichts durfte sie anfassen, keine noch so leichte Arbeit verrichten. Dabei hätte sie es durchaus geschafft, wenigstens die Küche auszufegen. Aber Margot wusste das zu verhindern, indem sie einfach überall schneller zufasste als Anne.
    Sven hingegen war meistens nie da, wenn es nötig gewesen wäre, seine Mutter in die Schranken zu verweisen. Tagsüber arbeitete er, abends kam er müde und abgespannt nach Hause, setzte sich trotzdem öfter als sonst zu Anne ans Bett, unterhielt sich leise mit ihr über Laura oder schaute ihr einfach beim Sticken zu.
    Diese Arbeit versteckte Anne sorgsam, sobald sie die Schritte ihrer Schwiegermutter auf der Treppe vernahm.
    Doch heute unterdrückte Anne ihren Ärger, niemand sollte sie schließlich für undankbar halten.
    So angespannt diese Tage auch waren, zum Fest selbst schien sich alles in Wohlgefallen aufgelöst zu haben.
    Alle Räume des Hauses strahlten eine behagliche Sauberkeit aus. Dazu duftete es weihnachtlich, Kuchen und Plätzchen waren gebacken, die Ersatzkerzen für die Christbaumbeleuchtung besorgt, der Weihnachtsbraten vorbereitet. Helmut hatte den Baum geschmückt. Das war seit jeher seine Aufgabe gewesen, wenn er nicht gerade Schicht gehabt hatte. Wie immer, hatte er sich auch in diesem Jahr bei der anstrengenden Arbeit ein paar Gläschen von dem aromatisch duftenden Glühwein gegönnt. So saß er nach dem Bratwurstessen am Heiligen Abend mit roter Nase und etwas apathisch auf dem Sofa.
    Anne hatte eine kleine Tischdecke für ihre Schwiegereltern bestickt. Das war eine Arbeit, die sie problemlos sogar im Bett sitzend hatte ausführen können. Margot und Helmut Stiller waren sprachlos. Margot, weil sie ihrer Schwiegertochter so eine kunstvolle Arbeit nicht zugetraut hätte und Helmut, weil er in seiner Sofaecke eingenickt war.
    Sven und Anne fiel es an diesem Abend nicht schwer, versöhnlich darüber hinwegzusehen. Bewundernd strich Sven über die Stickerei und fragte sich im Stillen, ob wohl Laura später auch einmal so geschickt wie ihre Mama werden würde.
    Wie auf Verabredung vermieden es übrigens an diesem Abend alle, Lauras Namen auch nur zu erwähnen, um Annes schmerzliche Sehnsucht nach ihrer Tochter nicht wieder neu zu entfachen. Zu sehr hatte sie schon darunter

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