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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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unverheilten Wunde durchgesickert war. Sie flickte einen Kissenbezug, bevor der winzige Riß größer wurde, und brachte eine gewisse Ordnung in die Bücher im Schlafzimmer. Schließlich klopfte es an der Tür, und als sie öffnete, stand das Mädchen vor ihr. Janet teilte ihr mit, daß ein Gentleman sie zu sprechen wünsche und daß man ihn in das Wohnzimmer der Haushälterin geführt habe.
    »Wer ist es denn?« fragte Hester überrascht. Ihr erster Gedanke war Monk, dann wurde ihr bewußt, wie unwahrscheinlich das war. Monk war ihr nur eingefallen, weil unter der Oberfläche ihres Bewußtseins stets die Gedanken an ihn lauerten. Es war wahrscheinlich Evan, der wissen wollte, ob sie ihm irgendwie bei der Lösung des Rätsels um Rhys’ Verletzungen helfen konnte. Es interessierte ihn vermutlich, ob sie etwas mehr über die Familie und die Beziehung zwischen Vater und Sohn in Erfahrung gebracht hatte. Das flaue Gefühl der Enttäuschung, das sie jäh befiel, war vollkommen lächerlich. Sie wußte ohnehin nicht, was sie zu Monk hätte sagen sollen.
    Genausowenig wie sie wußte, was sie zu Evan sagen sollte. Ihre Pflicht galt der Wahrheit, aber sie wußte nicht, ob sie diese Wahrheit wirklich aufdecken wollte. Ihre berufliche Loyalität und ihre Gefühle sprachen für Rhys. Und sie stand in Sylvestras Diensten, ein Umstand, der sie zu einer gewissen Rücksichtnahme zwang.
    Sie dankte dem Mädchen und beendete ihre Arbeit, dann ging sie die Treppe hinunter und durch die mit grünem Tuch bezogene Tür weiter durch den Korridor, der zum Wohnzimmer der Haushälterin führte. Hester trat ein, ohne anzuklopfen.
    Auf der Schwelle hielt sie abrupt inne. Es war tatsächlich Monk, der mitten im Raum stand, schlank und elegant in seinem perfekt geschnittenen Mantel. Er wirkte gereizt und ungeduldig.
    Sie schloß die Tür hinter sich.
    »Wie geht es Ihrem Patienten?« fragte er. Seine Miene verriet echtes Interesse.
    War es Höflichkeit, oder hatte er einen Grund für seine Anteilnahme? Diente sie ihm lediglich als Vorwand, um überhaupt irgend etwas sagen zu können?
    »Dr. Wade ist der Meinung, daß er sich recht gut erholt, aber noch immer alles andere als geheilt ist«, antwortete Hester mit einer leichten Steifheit. Sie ärgerte sich über ihre Freude, daß es Monk war und nicht Evan. Sie hatte überhaupt keinen Grund, sich zu freuen. Sein Besuch würde nur zu einem weiteren sinnlosen Streit führen.
    »Haben Sie keine eigene Meinung?« Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie kritisch an.
    »Natürlich habe ich die«, gab sie zurück. »Glauben Sie, daß meine Meinung Ihnen von größerem Nutzen sein könnte als die eines Arztes?«
    »Wohl kaum…«
    »Das dachte ich mir. Deshalb habe ich Ihnen gesagt, was Dr. Wade denkt.«
    Monk holte tief Atem und stieß dann hastig die Luft wieder aus.
    »Und er spricht immer noch nicht?«
    »Nein.«
    »Oder teilt sich auf irgendeine andere Art mit?«
    »Wenn Sie meinen, ob er sich mit Worten mitteilt, nein. Er kann keine Feder halten, um zu schreiben. Die Knochen in seinen Händen sind noch weit von einer Heilung entfernt. Ihrer Beharrlichkeit entnehme ich, daß Ihr Interesse beruflicher Natur ist? Ich wüßte nicht, warum. Glauben Sie, daß er die Männer in Seven Dials, nach denen Sie suchen, gesehen hat? Oder daß er weiß, wer sie waren?«
    Monk schob die Hände in die Taschen und senkte den Blick, bevor er sie erneut ansah. Seine Miene wurde weicher, und der Argwohn wich aus seinen Zügen.
    »Ich würde gern glauben, daß er nicht das geringste mit diesen Männern zu tun hat.« Ihre Augen blickten ruhig und klar.
    »Sind Sie sicher, daß das so ist?«
    »Ja!« antwortete sie sofort. Dann fing sie seinen Blick auf, und da sie ein zutiefst ehrlicher Mensch war, wurde ihr sofort klar, daß das nicht stimmte. »Nein – nicht vollkommen.« Sie versuchte es noch einmal. »Ich weiß nicht, was geschehen ist, nur daß es furchtbar gewesen sein muß. So furchtbar, daß es ihm die Sprache geraubt hat.«
    »Ist das echt… ich meine, sind Sie davon überzeugt?« Er sah sie entschuldigend an, denn er wollte sie nicht kränken. »Wenn Sie sagen, daß es so ist, werde ich es akzeptieren.«
    Sie trat weiter in den Raum hinein, näher an Monk heran. Das Feuer in dem kleinen, sorgfältig geschwärzten Kamin brannte hell, und es standen zwei Sessel daneben, die Hester jedoch genau wie Monk ignorierte.
    »Ja«, sagte sie, diesmal mit absoluter Gewißheit. »Wenn Sie ihn bei einem seiner Alpträume

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