Stilles Echo
Sie waren dazu verurteilt, dieselbe sinnlose Tragödie wieder und wieder auf die Bühne zu bringen.
»Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt«, bemerkte Runcorn schließlich. Er beugte sich vor, ließ die Stuhlbeine herunterkrachen und stützte sich mit den Ellbogen auf seinen Schreibtisch. »Sie werden nie beweisen, daß irgendwelche Männer bei einer Prostituierten Gewalt angewendet haben. Die Frau hat sich bereits verkauft, Monk! Sie mögen das durchaus mißbilligen!« Runcorn zog seine lange Nase kraus, als wolle er Monk nachahmen, obwohl weder in dessen Stimme noch in dessen Gedanken Verachtung gelegen hatte. »Sie mögen diese Art und Weise, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, für unmoralisch und für verdammenswert halten, aber Sie werden die Prostitution niemals abschaffen. Sie mag gegen Ihr Feingefühl verstoßen, aber ich versichere Ihnen, daß sehr viele Männer, die Sie vielleicht als Gentlemen bezeichnen, nach Haymarket gehen. Vornehme Herren, deren Gesellschaft Sie mit Ihrer hochnäsigen Art und Ihrem feinen Getue so gerne suchen. Diese Männer gehen nach Haymarket und sogar in Bezirke wie Seven Dials, wo sie Frauen benutzen und für das Privileg zahlen.«
Monk öffnete den Mund, um Einwände zu erheben, aber Runcorn redete unerbittlich weiter und ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Vielleicht wollen Sie das nicht gern wahrhaben, aber es ist an der Zeit, daß Sie einige Ihrer vornehmen Herrschaften so sehen, wie sie wirklich sind.« Runcorn hieb mit dem Finger auf seinen Schreibtisch ein. »Sie verheiraten sich mit Frauen, die ihren gesellschaftlichen Ambitionen dienlich sind, die sie auf Händen tragen können, wenn sie mit ihresgleichen speisen und tanzen. Sie schmücken sich gern mit einer kühlen, anständigen Ehefrau.« Er stieß immer wieder mit dem Finger auf die Tischfläche, und sein Gesicht war voller Hohn. »Eine tugendhafte Ehefrau, die nichts von den Vergnügungen des Fleisches weiß, die die Mutter ihrer Kinder sein soll, die Wächterin über all das, was gut und sicher ist, erbaulich und moralisch sauber. Aber wenn es um die Befriedigung ihrer Gelüste geht, wollen sie eine Frau, die sie nicht persönlich kennen, die nichts von ihnen erwartet als eine Entlohnung für geleistete Dienste. Eine Frau, die nicht entsetzt ist, wenn sie einige Vorlieben offenbaren, die ihre vornehmen Gattinnen abstoßen und ängstigen würden. Sie wollen die Freiheit, alles zu sein, was ihnen gerade in den Sinn kommt! Und dazu gehören vielleicht eine Menge Dinge, die Sie nicht billigen würden, Monk!«
Monk beugte sich über den Schreibtisch und sah sein Gegenüber mit zusammengebissenen Zähnen an, bevor er ihm seine Antwort hinschleuderte.
»Wenn ein Mann eine Ehefrau will, die er nicht befriedigen und nicht genießen kann, dann ist das sein Pech«, gab er zurück.
»Und es ist eine Scheinheiligkeit von ihm ebenso wie von ihr. Aber es ist kein Verbrechen. Wenn er sich dagegen mit zwei Freunden zusammentut, nach Seven Dials kommt und dann die Fabrikarbeiterinnen vergewaltigt und verprügelt, die nebenbei ein wenig Prostitution betreiben, das ist ein Verbrechen. Und ich habe die Absicht, dem einen Riegel vorzuschieben, bevor noch ein Mord daraus erwächst.«
Wut und Überraschung verdunkelten Runcorns Gesicht, aber diesmal war es Monk, der ihn nicht zu Wort kommen ließ. Der sich immer noch auf seinen Schreibtisch stützte und auf ihn herabblickte. Runcorns früherer Vorteil zu sitzen, während Monk stand, hatte sich nun ins Gegenteil verkehrt. Sie waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt.
»Ich dachte, Sie würden sich dem Gesetz so weit verpflichtet fühlen, daß Sie ebenso empfinden wie ich!« fuhr Monk fort.
»Ich hatte erwartet, daß Sie mich fragen würden, was ich weiß, und daß Sie dankbar für meine Informationen wären. Was Sie von mir persönlich halten, spielt keine Rolle.« Er schnippte mit den Fingern. »Sind Sie nicht Manns genug, das zu vergessen, bis die Männer gefaßt sind, die Frauen vergewaltigen und verprügeln, um ihr »Vergnügen«, wie Sie es ausdrücken, zu suchen? Und nicht nur Frauen, sondern auch Mädchen, die noch halbe Kinder sind? Hassen Sie mich genug, um Ihre Ehre zu opfern, nur damit Sie mir diese Sache abschlagen können? Haben Sie wirklich soviel von sich selbst verloren?«
»Verloren?« Runcorns Gesicht war zu einem stumpfen Purpurrot angelaufen, und er rückte noch näher an Monk heran.
»Ich habe gar nichts verloren, Monk. Ich habe eine Stellung. Ich
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