Stilles Echo
Auseinandersetzung. Aber ein Kampf auf Leben und Tod, nur weil ein junger Mann zu einer Prostituierten gegangen war, eine solche Vorstellung war absurd. Etwas ganz anderes dagegen war es, wenn es um eine Reihe von zunehmend gewalttätigen Überfällen auf Frauen gegangen war, Verbrechen, die die drei jungen Männer zusammen begangen hatten und bei denen sie auf frischer Tat ertappt worden waren. Eine Vergewaltigung war abscheulich, und sie war ein Verbrechen. Außerdem ließ sich unschwer ahnen, daß diese Vergewaltigungen früher oder später in einen Mord münden würden. Die Vorstellung von drei jungen Männern, die gerade einen gewalttätigen Sieg über ein verängstigtes Opfer errungen hatten und die nun den Mann totschlugen, der mit ihrer Bloßstellung drohte, war schrecklich, aber keineswegs unglaubhaft.
»Ja, ich verstehe«, pflichtete er Monk mit plötzlicher Bekümmerung bei. Es waren grauenhafte Verbrechen gewesen, so häßlich, daß er eigentlich von Ekel und Zorn erfüllt sein müßte, wenn er an die beiden jungen Männer dachte, die diese Dinge getan hatten. Dennoch sah er immer wieder das Bild von Rhys vor sich, wie er auf den Pflastersteinen gelegen hatte, über und über voller Blut, wie tot und doch noch lebendig, auch wenn sein Leben am seidenen Faden gehangen hatte.
Und dann hatte er jäh wieder das Bild des jungen Mannes in dem Krankenhausbett vor sich, das Gesicht angeschwollen und bläulich verfärbt, wie er die Augen öffnete und verzweifelt zu sprechen versuchte, wie er voller Entsetzen gewürgt und gekeucht hatte und in einem Meer aus Schmerzen zu ertrinken schien.
Evan hatte keine Freude an diesem Sieg. Er verspürte nicht einmal das gewohnte Nachlassen der Anspannung, das normalerweise mit dem Abschluß eines Falles einherging. Was Monk ihm erzählt hatte, erschütterte ihn zutiefst. »Es wird das beste sein, Sie bringen mich zu diesen Zeugen«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Ich nehme an, sie werden mir dasselbe erzählen? Glauben Sie, daß diese Leute ihre Aussage vor Gericht beschwören werden?« Er wußte nicht, was für eine Antwort er sich auf diese Frage erhoffte. Selbst wenn die Zeugen nicht bereit waren, einen Eid abzulegen, nichts konnte die Wahrheit ändern.
»Sie können sie dazu zwingen«, antwortete Monk mit unüberhörbarer Ungeduld. »Die Macht des Gesetzes wird sie dazu bringen. Sobald sie im Zeugenstand stehen, haben sie keinen Grund mehr zu lügen. Außerdem ist das ohnehin Ihre Entscheidung.«
Er hatte recht. Es gab nichts mehr zu bereden.
»Dann gehe ich damit zu Runcorn«, fuhr Evan fort. Er lächelte mit herabgezogenen Mundwinkeln. »Der wird nicht begeistert sein, daß Sie den Fall gelöst haben.«
Ein seltsamer Ausdruck huschte über Monks Züge, eine Mischung aus Ironie und etwas anderem, das Bedauern oder vielleicht sogar eine Form von Schuldbewußtsein sein konnte. Evan spürte die Unsicherheit des anderen Mannes, ein gewisses Zögern, als sei da noch etwas, worüber er reden wollte und wisse nicht, wie er es anfangen sollte. Monk machte keine Anstalten, sich aus seinem bequemen Sessel zu erheben.
»Ich weiß, er hat sich geweigert, den Vergewaltigungen nachzugehen«, begann Evan. »Aber mit diesen Informationen liegen die Dinge anders. Niemand wird sich die Mühe machen, deswegen Anklage zu erheben, außer wenn es einen Mordfall zu sühnen gilt. Und Mord ist die Anklage, die wir gegen sie erheben werden. Wir werden die Vergewaltigungen nur deshalb beweisen, um das Motiv darzulegen. Die Vergewaltigungen in Seven Dials werden einfach als Vorgeschichte dieses Verbrechens dargestellt.«
»Ich weiß.«
Evan war verwirrt. Warum ging Monks Verachtung für Runcorn so tief? Runcorn war bisweilen selbstherrlich und arrogant, aber das war seine Art, sich gegen die Dinge zur Wehr zu setzen, die ihm das Leben schwermachten. Er war ein Mann, der kaum etwas zu kennen schien als seine Arbeit und den Wert, den sie ihm verlieh. Evan war klar, daß er nicht das Geringste über den Menschen Runcorn wußte, sobald dieser das Polizeirevier verließ. Er wußte nur, daß sein Vorgesetzter niemals von Verwandten oder Freunden sprach, davon, wie er seine freie Zeit verbrachte. Hatte Monk jemals über solche Dinge nachgedacht?
»Sind Sie immer noch der Meinung, er hätte den Vergewaltigungen auch ohne weitere Handhabe nachgehen sollen?« fragte er und hörte selbst den Tadel, der in seiner Stimme mitschwang.
Monk zuckte die Achseln. »Nein.« Seine Antwort kam nur
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