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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Mann, der ihr gefolgt war. Sein Haar und seine Haut waren genauso hell wie die der Frau, aber seine Züge waren vollkommen andere. Sein Gesicht war mager und insgesamt feiner, adlerartiger. Seine Augen waren von einem klaren, hellen Blau. Es war ein Gesicht, das Humor und Träume verriet und vielleicht eine gewisse Einsamkeit. »Guten Tag, Mr. Arthur.«
    »Guten Tag«, erwiderte Mrs. Kynaston. Sie trug, wie es einem Besuch in einem Trauerhaus angemessen war, dunkelbraune und schwarze Stoffe. Ihre Kleider waren gutgeschnitten, obwohl es ihnen irgendwie an individuellem Stil fehlte. Es lag auf der Hand, daß diese Dinge ihr nicht wichtig waren. Sie reichte Wharmby ihren Umhang und ließ sich dann in den Salon führen, wo Sylvestra sie anscheinend bereits erwartete. Arthur folgte ihr.
    Wharmby kam die Treppe hinauf.
    »Miss Latterly, der junge Mr. Kynaston ist ein guter Freund von Mr. Rhys. Er hat gefragt, ob er ihn vielleicht besuchen dürfe. Was meinen Sie, wäre das möglich?«
    »Ich werde Mr. Rhys fragen, ob er ihn sehen möchte«, erwiderte Hester. »Wenn ja, möchte ich gern zuerst mit Mr. Kynaston sprechen. Es ist von größter Wichtigkeit, daß er nichts sagt oder tut, was meinem Patienten Ungemach bereiten könnte. Dr. Wade hat das ausdrücklich betont.«
    »Natürlich. Ich verstehe.« Wharmby wartete vor der Tür, während sie ins Zimmer ging, um Rhys zu fragen.
    Rhys starrte mit halbgeschlossenen Augen zur Decke empor. Hester blieb in der Tür stehen. »Arthur Kynaston ist hier. Er würde Sie gern besuchen, falls Sie sich dem gewachsen fühlen.
    Wenn nicht, brauchen Sie es mich lediglich wissen zu lassen. Ich werde dafür sorgen, daß er nicht gekränkt ist.«
    Rhys Augen weiteten sich. Sie glaubte, einen gewissen Eifer in ihnen zu entdecken, dann einen jähen Zweifel, der vielleicht der Verlegenheit entsprang.
    Sie wartete ab.
    Rhys war unschlüssig. Er war einsam, verängstigt, verletzlich und schämte sich seiner Hilflosigkeit – und vielleicht auch dessen, was er unterlassen hatte, um seinen Vater zu retten.
    »Wenn er zu Ihnen hinaufkommt, soll ich Sie dann allein lassen?« fragte sie.
    Ein Schatten strich über sein Gesicht.
    »Soll ich bleiben und dafür sorgen, daß wir von angenehmen Dingen sprechen, interessanten Dingen?«
    Ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf seinen Zügen aus. Hester drehte sich um und ging hinaus, um Wharmby zu informieren.
    Arthur Kynaston kam langsam die Treppe hinauf, und sein hübsches Gesicht war von Sorge gefurcht.
    »Sind Sie die Krankenschwester?« fragte er, als er schließlich vor Hester stand.
    »Ja. Mein Name ist Hester Latterly.«
    »Darf ich ihn besuchen?«
    »Ja. Aber ich muß Sie warnen, Mr. Kynaston. Er ist sehr krank. Ich gehe davon aus, daß man Ihnen bereits mitgeteilt hat, daß er nicht sprechen kann.«
    »Aber er wird es doch gewiß wieder lernen… bald? Ich meine, es wird zurückkommen, nicht wahr?«
    »Das weiß ich nicht. Für den Augenblick kann er jedenfalls nicht sprechen, aber er kann nicken oder den Kopf schütteln. Und er hat es gern, wenn man mit ihm spricht.«
    »Was soll ich sagen?« Arthur wirkte verwirrt, ein wenig ängstlich. Er war sehr jung, vielleicht erst siebzehn.
    »Alles, was Sie wollen, nur die Vorfälle in St. Giles oder den Tod seines Vaters dürfen Sie nicht erwähnen.«
    »O Gott! Ich meine… er weiß es doch, oder? Irgend jemand hat es ihm doch erzählt?«
    »Ja. Und er war dabei. Wir wissen nicht, was geschehen ist, nur daß der Schock dieses Erlebnisses ihm die Sprache geraubt zu haben scheint. Reden Sie über alles andere. Sie müssen doch irgendwelche Interessen haben. Studieren Sie? Was wollen Sie später einmal machen?«
    »Die klassischen Sprachen«, erwiderte er, ohne zu zögern.
    »Rhys liebt Geschichten der Antike noch mehr als ich. Wir würden beide schrecklich gern einmal nach Griechenland fahren oder in die Türkei.«
    Hester lächelte und trat beiseite. Es war nicht notwendig, Arthur zu sagen, daß er seine Frage selbst beantwortet hatte. Er wußte es.
    Sobald Rhys Arthur sah, leuchtete sein Gesicht auf, bevor es jäh von Verlegenheit wieder überschattet wurde. Er lag im Bett, hilflos und sogar außerstande, seinen Freund willkommen zu heißen.
    Wenn Arthur Kynaston auch nur die geringste Ahnung von den Gefühlen seines Freundes hatte, so verbarg er es jedenfalls hervorragend. Er ging in den Raum, als sei alles genauso wie bei ihren früheren Treffen, setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, ohne auf

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