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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Absicht.«
    »Aber sicher sind Sie sich dessen nicht?« fragte Monk hastig. Sie blickte ihm forschend ins Gesicht, weil sie hoffte, dort Trost zu finden, aber vergeblich.
    »Nein, ich bin mir nicht sicher. Er hat einen grausamen Zug, der sehr häßlich wirkt. Ich weiß nicht, warum. Sein Zorn scheint sich überwiegend gegen seine Mutter zu richten.«
    »Das tut mir leid.« Ohne nachzudenken, griff er nach ihrer Hand auf dem Tisch. Er spürte die Zartheit, obwohl es eine starke Hand war, die er hielt, aber sie war so leicht, daß seine eigenen Finger sie bedeckten.
    »Er scheint nichts mit dieser Sache zu tun zu haben«, sagte sie langsam, und Monk hatte das Gefühl, daß sie mehr sich selbst als ihn überzeugen wollte. »Es ist nur… es könnte sein… weil er nicht sprechen kann. Er ist allein.« Hester sah ihn mit einer Intensität an, die den Raum um sie herum und die Menschen darin überhaupt nicht zur Kenntnis nahm. »Er ist vollkommen allein! Wir wissen nicht, was ihm widerfahren ist, und er kann es uns nicht sagen. Wir können raten, wir können miteinander reden, wir arbeiten an den verschiedenen Möglichkeiten, und er kann uns nicht einmal sagen, an welcher Stelle wir in die Irre gehen, an welcher Stelle unsere Vermutungen lächerlich oder ungerecht sind. Ich kann mir keine größere Hilflosigkeit vorstellen.«
    Monk vermochte nicht zu entscheiden, ob er nun aussprechen sollte, was ihm durch den Kopf ging oder nicht. Hester wirkte so verletzt, so betroffen von dem Schmerz, den sie mitansehen mußte.
    Aber es war Hester, die hier vor ihm saß, nicht eine Frau, die er schützen mußte, ein sanftes und verletzliches Wesen, das nur mit den weiblichen Dingen des Lebens vertraut war. Hester hatte das Schlimmste schon erlebt, schlimmere Dinge als er selbst.
    »Ihr Mitleid mit ihm ändert nichts an den Dingen, derer er sich in der Vergangenheit schuldig gemacht haben mag«, antwortete er ihr.
    Sie zog die Hand weg.
    Er fühlte sich seltsam verletzt, als habe sie einen Teil ihres Selbst zurückgezogen. Sie war so unabhängig, Sie brauchte niemanden. Sie konnte geben, aber sie konnte nicht nehmen.
    »Ich weiß«, sagte sie leise.
    »Nein, das tun Sie nicht!« Monk antwortete mit dieser Bemerkung auf seine eigenen Gedankengänge. Sie ahnte nicht, wie arrogant sie war und daß die Art, wie sie anderen etwas gab, eine Form des Nehmens war. Während es, wenn sie einmal genommen hätte, ein Geschenk gewesen wäre.
    »O doch, ich weiß es sehr wohl!« Sie war jetzt wütend und wollte sich verteidigen. »Ich glaube nur nicht, daß es Rhys war. Ich kenne ihn! Sie nicht.«
    »Und Ihr Urteil ist natürlich unparteiisch?« fragte er herausfordernd. Monk lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Sie sind nicht voreingenommen, nicht einmal eine Spur?«
    Ein Paar ging an ihnen vorbei, und die Röcke der Frau streiften Hesters Stuhl.
    »Was für eine dumme Bemerkung!« Ihre Stimme klang scharf, ihr Gesicht war gerötet. »Sie sagen, wenn man etwas über eine Sache weiß, ist man zwangsläufig voreingenommen und besitzt kein Urteilsvermögen mehr, während jemand, der nichts weiß, einen klaren Kopf hat und daher ein gerechtes Urteil abgeben kann. Aber wenn Sie nichts wissen, ist Ihr Kopf nicht klar, er ist leer! Wenn es danach ginge, könnten wir auf Geschworene verzichten und brauchten nur jemanden zu fragen, der noch nie von dem Fall gehört hat, und der Betreffende würde eine vollkommen unvoreingenommene Entscheidung treffen!«
    »Sie meinen nicht, daß es vielleicht eine gute Idee wäre, auch etwas über die Opfer in Erfahrung zu bringen?« fragte er beißend. »Oder gar über die Verbrechen selbst? Oder ist all das unwesentlich?«
    »Sie haben mir gerade erzählt, worum es sich bei den Verbrechen gehandelt hat, und Sie haben von den Opfern gesprochen«, bemerkte sie. Ihre Stimme wurde lauter. »Und jawohl, in gewisser Weise ist das alles für die Beurteilung von Rhys unwesentlich. Die furchtbaren Ausmaße eines Verbrechens haben nichts mit der Frage zu tun, ob eine bestimmte Person schuldig ist oder nicht. Das ist eine elementare Sache. Es betrifft nur die Strafe. Warum tun Sie so, als wüßten Sie das nicht?«
    »Jemanden zu mögen oder Mitleid mit ihm zu haben, hat nichts mit der Frage von Schuld oder Unschuld zu tun«, versetzte er, ebenfalls mit lauter gewordener Stimme. »Warum tun Sie so, als hätten Sie das vergessen? Es spielt keine Rolle, wieviel Ihnen an dem Jungen liegt, Hester, Sie können nicht ungeschehen machen,

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