Stilles Echo
jemand, daß es manchmal drei Männer, manchmal nur zwei gewesen waren. Der Händler hatte nur eine einzige wirklich neue Information beizusteuern: daß die Männer sich in den Außenbezirken von Seven Dials trafen, als seien sie aus verschiedenen Richtungen gekommen, aber wenn sie gingen, hatte er sie immer nur gemeinsam weggehen sehen.
Es ließ sich nicht länger vermeiden, daß Monk seine Theorie auf die Probe stellte. Er hätte es bei weitem vorgezogen, das nicht zu tun, denn er fürchtete, daß diese Theorie der Wahrheit entsprach, und er hätte es sich anders gewünscht. Hester benahm sich natürlich sehr töricht, trotzdem wollte er ihr nicht weh tun. Es würde ihr aber weh tun, wenn sie zu der Einsicht gezwungen wäre, daß Rhys Duff zu den Vergewaltigern gehört hatte.
Monk brauchte den ganzen Tag, ging von einer grauen und bitterarmen Straße in die nächste, fragte, schmeichelte, drohte, aber als der Abend dämmerte, hatte er andere gefunden, die die Männer direkt nach einem der Überfälle gesehen hatten, und zwar nur wenige Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Sie waren derangiert gewesen und ein wenig aus dem Gleichgewicht, und einer von ihnen war mit Blut gezeichnet gewesen, als einen Augenblick lang der Schein der Kutschlampen eines vorbeifahrenden Hansom sein Gesicht erhellte.
Es war nicht das, was Monk sich gewünscht hatte. Dieses Wissen brachte ihn unausweichlich einer Tragödie näher, von der er beinahe sicher war, daß sie Rhys Duff betreffen mußte. Dennoch erfüllte ihn eine Art von Jubel, das Wissen um seine Macht und der Geschmack des Sieges belebten ihn. Er bog um eine Ecke und gelangte auf eine breitere Straße. Monk mußte von dem schmalen Gehsteig über den Rinnstein hinwegsteigen, als ihm plötzlich einfiel, daß er genau dasselbe schon einmal getan hatte, mit demselben Gefühl des Triumphs angesichts dessen, was er erfahren hatte.
Damals war es Runcorn gewesen. Monk konnte nicht sagen , worum es sich gehandelt hatte, aber einige Männer hatten ihm etwas erzählt, was er wissen mußte, und sie hatten Angst vor ihm gehabt, so wie sie auch jetzt Angst vor ihm hatten. Rückblickend war es kein angenehmes Wissen, die mißtrauischen Augen, der Haß darin und die Niederlage, weil er stärker und klüger war und sie es wußten. Aber er konnte sich nicht daran erinnern, diesen Menschen weh getan zu haben. Erst jetzt, in der Erinnerung, bezweifelte er, daß er wirklich richtig gehandelt hatte. Er schauderte und beschleunigte seinen Schritt. Es gab kein Zurück mehr.
Monk hatte jetzt genug, um zu Runcorn zu gehen. Die weiteren Untersuchungen gehörten in die Hand der Polizei. Das würde auch Vida Hopgood schützen und der Lynchjustiz vorbeugen, vor der Hester ihn gewarnt hatte. Wenn sie es so machten, würde es eine Verhandlung geben und Beweise.
Monk hielt eine Droschke an und nannte die Adresse des Polizeireviers. Runcorn würde zuhören müssen. Es war zu viel passiert, als daß er es hätte ignorieren können.
»Prügel?« fragte Runcorn skeptisch, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und zu Monk aufblickte. »Klingt nach häuslichen Sachen. Sie sollten es besser wissen, als damit zu uns zu kommen. Die meisten Frauen ziehen ihre Klagen ohnehin zurück. Außerdem hat ein Mann das Recht, seine Frau in einem vernünftigen Maß zu züchtigen.« Runcorn verzog die Lippen, und eine Mischung aus Ärger und Belustigung trat in seine Züge. »Es sieht Ihnen gar nicht ähnlich, Ihre Zeit auf eine verlorene Sache zu vergeuden. Sie schienen mir nie einer von denen zu sein, die gegen Windmühlen kämpfen…« Er ließ den Satz in der Luft hängen, und zahllose unausgesprochene Dinge schwangen in seinen Worten mit. »Sie haben sich verändert! Mußten wohl ein bißchen von Ihrem hohen Roß heruntersteigen, wie?« Er kippte seinen Stuhl leicht nach hinten. »Wenn Sie jetzt schon für die Armen und Verzweifelten arbeiten…«
»Die Opfer von Vergewaltigung und Überfällen sind oft verzweifelt«, sagte Monk so beherrscht, wie er nur konnte, aber er hörte den Zorn in seiner Stimme.
Runcorn reagierte sofort. Erinnerungen an eine Vielzahl alter Streitigkeiten wurden wach. Sie spielten so viele Szenen aus der Vergangenheit noch einmal durch, Runcorns Nervosität, seine Halsstarrigkeit, seine Verärgerung, Monks Wut und Verachtung und seine schnelle Zunge. Einen Augenblick lang hatte Monk das Gefühl, als sei er aus sich selbst herausgetreten, ein Zuschauer, der zwei Männer beobachtete.
Weitere Kostenlose Bücher