Stimmen der Angst
Ereignisse in Susan Jaggers Schlafzimmer in allen Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen.
37. Kapitel
Neun.
Als sie im dunklen Zimmer erwachte, glaubte Susan Jagger zu hören, wie jemand diese Zahl aussprach. Zu ihrer eigenen Überraschung sagte sie laut: »Zehn.«
Angespannt lauschte sie auf eine Bewegung, unsicher, ob sie selbst beide Zahlen ausgesprochen oder mit der Zehn nur auf die erste geantwortet hatte.
Eine Minute verrann, dann noch eine, in der nur ihre leisen Atemzüge zu hören waren, und dann, als sie die Luft anhielt, Totenstille im Raum. Sie war allein.
Die digitalen Leuchtziffern des Weckers zeigten an, dass es kurz nach drei war. Offensichtlich hatte sie mehr als zwei Stunden geschlafen.
Schließlich setzte sie sich im Bett auf und knipste die Nachttischlampe an.
Das halb volle Weinglas. Das aufgeschlagene Buch zwischen den zerwühlten Laken. Die heruntergelassenen Jalousien vor den Fenstern, die Möbel – alles, wie es sein sollte. Das BonsaiBäumchen.
Sie hob die Hände und roch daran. Sie roch auch am rechten Unterarm, dann am linken.
Sein Geruch. Unverkennbar. Schweiß, vermischt mit einem Hauch seiner bevorzugten Seife. Vielleicht benutzte er zusätzlich auch eine parfümierte Handlotion.
Wenn ihre Erinnerung sie nicht trog, war das nicht der Geruch, den sie von Eric kannte. Aber nach wie vor war sie davon überzeugt, dass er und kein anderer ihr nur allzu realer Inkubus war.
Auch ohne diesen verräterischen Geruch hätte sie gewusst, dass er ihr im Schlaf einen Besuch abgestattet hatte. Ein wundes Gefühl hier, eine leichte Schwellung dort. Das kaum merkliche Ammoniakaroma seines Spermas.
Als sie die Decke zurückschlug und aus dem Bett stieg, konnte sie immer noch spüren, wie sein zähflüssiger Saft aus ihr herausrann. Sie schauderte.
An der Biedermeiersäule schob sie die Efeuranken am Fuß des Bonsai auseinander, hinter denen die Videokamera versteckt war. Die Kassette musste fast voll sein, aber die Kamera lief noch.
Susan schaltete sie ab und nahm sie aus der Blumenschale.
Nicht einmal ihre Neugier und ihr Wunsch nach Vergeltung konnten verhindern, dass sie von einem plötzlichen Ekel geschüttelt wurde. Sie legte die Kamera auf den Nachttisch und stürzte ins Badezimmer.
Oft schlug sich, wenn sie beim Aufwachen feststellte, dass sie missbraucht worden war, ihr Ekel in Übelkeit nieder, und sie erbrach sich, als könnte sie, indem sie ihren Magen gründlich leerte, die Uhr auf einen Zeitpunkt zurückdrehen, der vor dem Abendessen und damit auch Stunden vor der Vergewaltigung lag. Diesmal hatte sich die Übelkeit allerdings schon wieder gelegt, bis sie im Badezimmer ankam.
Sie sehnte sich nach einer ausgiebigen Dusche mit dampfend heißem Wasser, mit viel Shampoo, schäumender Seife und einem Luffaschwamm, mit dem sie sich von Kopf bis Fuß abrubbeln konnte. Am liebsten hätte sie sofort geduscht und sich das Videoband erst danach angesehen, denn sie fühlte sich so schmutzig wie noch nie zuvor; sie hatte das unerträgliche Gefühl, vor Dreck zu starren, über und über mit einer unsichtbaren, ekelerregenden Schmutzschicht besudelt zu sein, in der es von Heerscharen winziger Parasiten wimmelte.
Aber zuerst das Videoband! Die Wahrheit. Dann die Säuberung.
Sie konnte sich zwar überwinden, das mit dem Duschen aufzuschieben, aber ihr Ekel zwang sie immerhin, sich nackt auszuziehen und ihre Scham zu waschen. Danach wusch sie sich gründlich Gesicht und Hände und spülte den Mund mit einem Mundwasser mit Pfefferminzgeschmack aus.
Das T-Shirt stopfte sie in den Wäschekorb. Den Slip mit den widerwärtigen Spermaspuren legte sie auf den geschlossenen Deckel des Wäschekorbs, weil sie nicht vorhatte, ihn zu waschen.
Wenn sie den Eindringling auf Videofilm gebannt hatte, genügten ihr die Beweise, um Anzeige wegen Vergewaltigung zu erstatten. Dennoch war es sicherlich klug, eine Spermaprobe für den genetischen Fingerabdruck aufzuheben.
Anhand ihrer Verfassung und ihres Verhaltens, die in der Videoaufnahme dokumentiert waren, würden die Beamten zweifellos feststellen, dass sie unter Drogen gesetzt worden war – keine willige Gespielin, sondern ein wehrloses Opfer. Sollte sie die Polizei rufen, wollte sie die Leute dennoch bitten, ihr zusätzlich eine Blutprobe abzunehmen, solange die Droge noch in ihrem Körper nachweisbar war.
Sobald sie sicher war, dass die Kamera funktioniert hatte, dass die Aufnahmen zufrieden stellend waren und ihr einen unwiderlegbaren Beweis
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