Stimmen der Angst
gegen Eric lieferten, würde sie wahrscheinlich versucht sein, zuerst ihn anzurufen, bevor sie die Polizei alarmierte. Nicht, um ihm Vorwürfe zu machen. Vielmehr, um ihn nach dem Warum zu fragen. Warum diese Brutalität? Warum die Heimlichtuerei? Was konnte ihn dazu bewegen, ihr Leben und ihre Gesundheit mit irgendeinem teuflischen Drogengebräu zu gefährden? Warum dieser Hass?
Doch einen solchen Anruf würde es nicht geben, denn es konnte gefährlich sein, ihn zu warnen. Es war verboten.
Verboten. Was für ein seltsamer Gedanke.
Ihr fiel plötzlich ein, dass sie auch im Gespräch mit Martie dieses Wort benutzt hatte. Vielleicht war es das richtige Wort, weil das, was Eric ihr angetan hatte, schlimmer war als ein Missbrauch, schlimmer als ein Verstoß gegen geltende Gesetze, fast ein Sakrileg. Ein Ehegelübde ist heilig oder sollte es zumindest sein, und in diesem Licht betrachtet, konnte man seine Tat durchaus als gotteslästerlich, als etwas Verbotenes bezeichnen.
Im Schlafzimmer zog sie sich ein sauberes T-Shirt und einen frischen Slip an. Die Vorstellung, nackt zu sein, während sie sich die abscheulichen Videoaufnahmen ansah, war ihr unerträglich.
Sie setzte sich auf die Bettkante und nahm die Kamera vom Nachttisch. Dann spulte sie die Kassette zum Anfang zurück.
Der Camcorder verfügte über einen 3-Zoll-Farbmonitor. Sie sah sich selbst, wie sie zum Bett zurückkehrte, nachdem sie den Aufnahmeknopf gedrückt hatte, was gegen Mitternacht geschehen war.
Das Licht der Nachttischlampe reichte zwar für die Videoaufnahme aus, war aber beileibe nicht ideal. Die Bildqualität auf dem kleinen Monitor war also nicht besonders gut.
Sie nahm die Kassette aus der Kamera, schob sie in das Videogerät und schaltete den Fernseher ein. Die Fernbedienung in beiden Händen, setzte sie sich ans Fußende ihres Betts und wartete ängstlich gespannt, was nun kommen würde.
Sie sah noch einmal, wie sie um Mitternacht, nachdem sie also das Band in der Videokamera zurückgespult hatte, zum Bett ging und sich hineinsetzte und dann den Fernseher ausschaltete.
Einen Moment lang sitzt sie im Bett und lauscht angestrengt in die Stille der Wohnung. Dann, als sie eben im Begriff ist, das Buch wieder zur Hand zu nehmen, klingelt das Telefon.
Susan runzelte die Stirn. Sie konnte sich nicht an einen Anrufer erinnern.
Sie nimmt den Hörer ab. »Hallo?«
Das Gerät hatte natürlich nur ihre Worte aufgezeichnet, und auch die waren aufgrund der Entfernung zur Kamera undeutlich, aber was sie verstand, ergab für sie noch weniger Sinn, als sie erwartet hatte.
Hastig legt sie den Hörer auf, springt aus dem Bett und verlässt den Raum.
In dem Augenblick, in dem sie das Gespräch entgegengenommen hatte, war in ihrer Miene und in ihrer Körpersprache eine Veränderung vor sich gegangen, die sie zwar wahrnahm, aber nicht ohne weiteres benennen konnte. So unmerklich diese Veränderung auch sein mochte, hatte sie doch das Gefühl, eine Fremde zu sehen, die da im Bild aus dem Zimmer ging.
Sie wartete eine halbe Minute, dann betätigte sie den Schnellvorlauf, bis wieder Bewegung ins Bild kam.
Schattenhafte Gestalten im Flur hinter der offen stehenden Schlafzimmertür. Dann sie selbst, wie sie den Raum wieder betritt. Hinter ihr löst sich ein Mann aus dem Dunkel des Korridors und tritt über die Schwelle. Dr. Ahriman.
Susan stockte vor Schreck der Atem. Völlig erstarrt und kälter als Stein saß sie da, plötzlich taub geworden für die Tonwiedergabe des Bandes, taub auch für den eigenen Herzschlag. Sie sah aus wie eine Marmorstatue, die als Blickfang für eine Buchsbaumhecke in einem schön angelegten Garten gedacht, aber hier völlig fehl am Platz war.
Die Schreckensstarre löste sich nach einer Weile in ungläubiges Staunen auf, und sie sog hörbar den Atem ein. Sie drückte den Pausenknopf auf der Fernbedienung.
Auf dem Standbild saß sie ungefähr so wie jetzt auf der Bettkante. Vor ihr stand Ahriman.
Sie drückte auf Rücklauf und ließ sich selbst und den Arzt rückwärts aus dem Zimmer gehen. Dann drückte sie auf Wiedergabe und sah zu, wie die Schatten im Flur wieder menschliche Gestalt annahmen, halb überzeugt, dass es diesmal Eric sein würde, der ihr über die Schwelle folgte. Denn Dr. Ahriman – seine Anwesenheit in diesem Raum war völlig unmöglich. Er war ein moralischer Mensch. Von aller Welt bewundert. Ein großartiger Arzt. Einfühlsam. Engagiert. Schlichtweg unmöglich: hier, in dieser Situation. Sie hätte
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