Stimmen der Angst
Rücken zu legen und die Augen zu schließen. »Ich hole Dusty jetzt herein, aber du wirst kein Wort von dem hören, was ich mit ihm berede. Du wirst die Augen erst wieder öffnen, wenn ich es dir sage. Du wirst dich jetzt an einen lautlosen, lichtlosen Ort begeben, in einen tiefen Schlaf, aus dem du im Innern deiner Kapelle wieder erwachst, wenn ich dich auf die Augen küsse und Prinzessin zu dir sage.«
Nach etwa einer Minute nahm der Arzt Marties linke Hand und maß den Puls. Langsam, träge, regelmäßig. Zweiundfünfzig Schläge in der Minute.
Und nun zu Mr. Rhodes, Malermeister, Studienabbrecher, Westentaschenintellektueller, ahnungsloses Werkzeug der Vergeltung, dessen zweifelhafter Ruf sich bald von Ozean zu schimmerndem Ozean ausbreiten würde.
*
In dem Roman ging es hauptsächlich um Gehirnwäsche, was Dusty ein paar Seiten, nachdem er auf Dr. Yen Lo gestoßen war, klar wurde.
Er fand die Entdeckung fast ebenso alarmierend wie die Tatsache, dass ihm der Name von Skeets Notizzetteln in diesem Buch wiederbegegnet war. Diesmal blieb er an seinem Platz sitzen, und das Buch zitterte auch nicht in seinen Händen; er murmelte lediglich leise vor sich hin: »Hurensohn.«
In der Wohnung des Jungen hatte Dusty sich vergebens bemüht, einen Hinweis auf irgendeinen Sektenzusammenhang zu finden. Keine Traktate und Pamphlete, keine religiösen Gewänder und Kultgegenstände. Keine Spur von einem Huhn, das ängstlich gackernd darauf wartete, auf dem Opferaltar geschlachtet zu werden. Und nun, in einem Moment, in dem Dusty nicht einmal an Skeets Probleme gedacht hatte, sprang ihm dieser geheimnisvolle chinesische Arzt aus Condons Roman entgegen und offenbarte sich als Fachmann in der Kunst und Wissenschaft der Gehirnwäsche .
Dusty glaubte nicht an Zufälle. Das Leben war ein Gewebe, in dem man ein Muster erkennen konnte, sofern man danach suchte. Dieses Buch war nicht zufällig dasjenige, das Martie seit Monaten mit sich herumtrug. Es war ihnen in die Hände gespielt worden, weil es einen Schlüssel zur Wahrheit dieser wahnwitzigen Situation enthielt. Er hätte sein linkes Ei dafür gegeben – oder vielleicht doch lieber alles Geld, das sie auf dem Konto hatten –, um zu erfahren, wer dafür gesorgt hatte, dass der Botschafter der Angst just in dem Moment auftauchte, in dem er gebraucht wurde. Obwohl Dusty daran glaubte, dass der Kosmos nach einem klugen Plan entworfen war, hielt er es doch für wahrscheinlicher, dass Gottes Wunder sich in den konventionelleren Phänomenen eines Flammenbuschs oder einer Himmelserscheinung äußerten anstatt auf den Seiten eines Taschenbuchthrillers. Da es also weder Gott noch ein Zufall zu sein schien, konnte es sich nur um einen Menschen aus Fleisch und Blut handeln.
Wie ein Stimmenimitator hörte Dusty sich selbst laut vor sich hin reden. Die Erkenntnis, dass er zu wenig wusste, um sich die eigenen Fragen zu beantworten, brachte ihn zum Schweigen.
In Condons Roman, der während des Koreakriegs und in der Zeit danach spielte, hatte Dr. Yen Lo amerikanische Soldaten einer Gehirnwäsche unterzogen und aus einem von ihnen, ohne dass der Betroffene wusste, was mit ihm geschehen war, eine Mordmaschine gemacht. Als gefeierter Kriegsheld in die Heimat zurückgekehrt, sollte dieser Soldat ein normales Leben führen – bis er durch ein schlichtes Patiencespiel aktiviert und zum ferngesteuerten Mörder wurde.
Aber der Koreakrieg war 1953 beendet worden, und der Roman war 1959, lange vor Dustys Geburt, erschienen. Weder der junge Soldat noch Dr. Yen Lo war eine reale Person. Es gab keinen ersichtlichen Grund für eine Verbindung zwischen diesem Roman und Dusty, Martie und Skeet mit seinen HaikuRegeln.
Er musste weiterlesen, um zu sehen, ob ihn das Buch einer Erkenntnis näher brachte.
Nachdem er ein paar Seiten überflogen hatte, hörte Dusty, wie auf der anderen Seite der Tür der Hebelgriff knirschend betätigt wurde und der Riegel aufschnappte, und unwillkürlich hatte er das Gefühl, dass er sich nicht bei seiner Lektüre ertappen lassen durfte. Eine unerklärliche Nervosität hatte Besitz von ihm ergriffen, und als die Tür mit dem Plopp und dem leisen Stöhnen einer sich öffnenden Vakuumversiegelung aufging, ließ er das Buch so erschrocken fallen, als hätte man ihn mit einem üblen Porno in der Hand oder, noch schlimmer, mit einem der zahlreichen pompösen Werke seines Vaters oder seiner Stiefväter erwischt.
Das Buch rutschte über den kleinen Beistelltisch neben dem
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