Stimmen der Angst
Schlüsselwort war nicht Dr. Yen Lo , sondern Raymond Shaw , und sie hatte ein anderes Haiku als Skeet.
Trotzdem fuhr er fort: »Zersprühen in den Wellen.«
Sie blinzelte. »Zersprühen was?«
»Du warst schon wieder weg.«
Sie musterte ihn mit einem zweifelnden Blick und sagte: »Wer hat dann meinen Sitz warm gehalten?«
»Ich meine es ernst. Du warst weg. Wie Skeet, aber anders. Der bloße Name, nur Dr. Yen Lo , und schon war er völlig gaga, hat etwas von den Regeln gebrabbelt und war sauer auf mich, weil ich ihm nicht die richtigen Anweisungen gegeben habe. Aber du bist angespannter, du wartest darauf, dass die richtigen Worte gesagt werden, und wenn ich dann den Vers nicht sage, der dich für Instruktionen zugänglich macht, kommst du schlagartig wieder zu dir.«
Sie sah ihn an, als würde er irre reden.
»Ich bin nicht irre«, sagte er.
»Du bist eindeutig noch eigenartiger als vor drei Jahren, als ich dich geheiratet habe. Was redest du da über Skeet?«
»Gestern ist im New Life was ziemlich Komisches passiert. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es dir zu erzählen.«
»Bitte sehr, jetzt ist die beste Gelegenheit.«
Er schüttelte den Kopf. »Später. Zuerst müssen wir das hier klären. Ich will dir erst einen Beweis für das liefern, was hier passiert. Hast du noch ein Bonbon im Mund?«
»Im Mund?«
»Ja. Hast du das letzte Bonbon fertig gegessen, oder hast du noch was davon im Mund?«
Sie bugsierte das in Auflösung begriffene Schokoladenbonbon auf die Zungenspitze, zeigte es ihm und schob es wieder in die Backentasche. Dann hielt sie ihm die halb leere Bonbonrolle hin und sagte: »Vielleicht willst du ja lieber ein neues?«
»Schluck das Bonbon runter«, sagte er, und nahm ihr die Rolle aus der Hand.
»Manchmal lasse ich die Schokolade gern im Mund zergehen.«
»Du kannst sie beim nächsten im Mund zergehen lassen«, sagte er ungeduldig. »Los, mach schon, schluck es runter!«
»Ich sage es ja, zu niedriger Blutzuckerspiegel.«
»Nein, ich bin von Natur aus reizbar«, sagte er schroff, während er ein Schokoladenbonbon aus dem Papier löste. »Hast du es runtergeschluckt?«
Sie schluckte demonstrativ.
»Ist dein Mund leer?«, sagte er herausfordernd. »Ist es weg? Alles?«
»Ja, ja. Aber was hat das mit …«
»Raymond Shaw«, sagte Dusty.
»Ich höre.«
Ihr Blick schweifte ins Leere, ihre Gesichtszüge wurden schlaff, und sie wartete mit offenem Mund auf das Haiku, das er nicht kannte.
Statt eines Gedichts gab er ihr ein Bonbon, schob ihr die Schokoladenpastille in den Mund und legte sie ihr auf die Zunge, die nicht einmal leise zuckte, als die Süßigkeit sie berührte.
Kaum lehnte er sich in seinen Sitz zurück, blinzelte sie auch schon und wollte eben in der Rede fortfahren, die Dusty mit dem Namen Raymond Shaw unterbrochen hatte – da bemerkte sie das Bonbon in ihrem Mund.
Sie erlebte in diesem Moment das Gleiche wie Dusty, als er das Buch wie durch Magie wieder in der Hand gehalten hatte, nachdem es ihm nur einen Wimpernschlag zuvor auf den Boden gefallen war. Hätte er da nicht gerade noch an sich halten können, hätte er das Buch vor lauter Schreck quer durch den Raum geschleudert. Martie dagegen gelang es nicht, sich zu beherrschen: Sie sog hörbar die Luft ein, verschluckte sich, hustete, spuckte das Bonbon in hohem Bogen aus und landete dabei mitten auf seiner Stirn einen Volltreffer.
»Ich dachte, du lässt es gern zerschmelzen«, bemerkte er trocken.
»Es schmilzt ja.«
Dusty wischte sich die Schokolade mit einem Papiertuch von der Stirn. »Du warst ein paar Sekunden lang weggetreten.«
»Ich war weggetreten«, pflichtete sie ihm mit einem leisen Beben in der Stimme bei.
Die nachtherapeutische Aura verflüchtigte sich. Martie fuhr sich mit dem Handrücken nervös über den Mund, zog die Sonnenblende herunter, um sich im Spiegel zu betrachten, und klappte sie, erschrocken über ihren Anblick, hastig wieder hoch. Dann drückte sie sich gegen die Rückenlehne.
»Skeet«, sagte sie, um ihn an sein Versprechen zu erinnern.
So knapp wie möglich fasste Dusty die Ereignisse zusammen, angefangen bei Skeets Sprung vom Dach der Sorensons über die Notizzettel in Skeets Küche und den Zwischenfall im New Life, bis hin zu seiner heutigen Entdeckung, dass es auch bei ihm selbst zumindest kurze Zeitspannen gab, für die ihm die Erinnerung fehlte. »Aussetzer, Bewusstseinsstörungen, wie immer man es nennen mag.«
»Du, ich und Skeet«, sagte sie. Mit einem Blick auf
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