Stimmen der Angst
der er die Stadt vor lauter Bäumen nicht sehen konnte.
Dann fiel ihm sein Traum von dem Blitz und dem Reiher ein. Der Aufpumpball des Blutdruckmessgeräts hatte in der Luft geschwebt und sich, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, zusammengezogen und wieder ausgedehnt. In diesem Traum hatte sich eine dritte Person, unsichtbar wie ein Geist, mit ihm und Martie im Raum befunden.
Und dieses unsichtbare Wesen – ob Außerirdischer, von Big Brother gesandter Spion oder wer auch immer – war ihr Peiniger. Wenn, so vermutete er, sie tatsächlich nach einem durch Hypnose einprogrammierten Plan handelten, war die Programmierung bestimmt an eine Weisung gekoppelt, einen etwaigen Verdacht nicht gegen die Drahtzieher zu richten, sondern gegen ein Sammelsurium möglicher und unmöglicher Subjekte wie Außerirdische und ominöse Geheimagenten. Sein Feind könnte jederzeit seinen Weg kreuzen, aber er würde im richtigen Leben ebenso unsichtbar bleiben wie in Dustys Albtraum mit dem kreischenden Reiher.
Als Dusty nach rechts auf den Pacific Coast Highway abbog, schlug Martie den Botschafter der Angst auf und überflog den ersten Satz, wo auch schon der Name auftauchte, der die kurze Absenz bei ihr ausgelöst hatte. Dusty sah, wie Martie ein Schauer durchlief, als sie den Namen las; sie verfiel jedoch nicht in diese unbeteiligte, abwartende Haltung.
Sie sagte den Namen laut vor sich hin: »Raymond Shaw«, aber das Einzige, was sie damit auslöste, war ein zweites flüchtiges Schaudern.
»Vielleicht hat der Name, wenn man ihn liest oder selbst ausspricht, nicht diese Wirkung«, sagte er. »Wahrscheinlich muss ihn ein anderer aussprechen.«
»Vielleicht hat er ja seine Wirkung auch dadurch verloren, dass ich ihn jetzt kenne.«
»Raymond Shaw«, sagte Dusty.
»Ich höre.«
Als Martie nach ungefähr zehn Sekunden wieder bei vollem Bewusstsein war, sagte Dusty: »Herzlich willkommen. So viel also zu deiner Hypothese.«
Martie warf einen finsteren Blick auf das Buch. »Am besten fahren wir nach Hause und verbrennen es.«
»Das wäre nicht sinnvoll. Es gibt Hinweise darin. Geheimnisse. Wer immer dir das Buch in die Hand gespielt hat – und ich neige zu der Ansicht, dass du nicht einfach hingegangen bist und es gekauft hast –, wer immer es also war, es muss in irgendeiner Weise ein Gegenspieler der Leute sein, die uns programmiert haben. Jemand, der uns die Augen darüber öffnen will, was mit uns passiert. Und das Buch ist der Schlüssel. Er hat uns einen Schlüssel zur Aufklärung des Ganzen gegeben.«
»Ach ja? Warum ist er nicht einfach zu mir gekommen und hat gesagt: ›He, Lady, ich kenne da ein paar Leute, die machen sich an Ihrem Hirn zu schaffen, pflanzen Ihnen eine Autophobie ein und alle möglichen Sachen, von denen Sie überhaupt noch keine Ahnung haben, aus Gründen, die Sie in Ihren kühnsten Träumen nicht erraten würden, und das gefällt mir nicht.‹«
»Na ja, nehmen wir einmal an, es steckt wirklich ein staatlicher Geheimdienst dahinter, und innerhalb dieser Organisation gibt es eine kleine Gruppe von Leuten, die moralische Bedenken gegen das Projekt haben …«
»Bedenken gegen die Operation Gehirnwäsche an Dusty, Skeet und Martie, ha.«
»Genau. Aber sie können sich nicht offen mit uns in Verbindung setzen.«
»Warum?«, fragte Martie hartnäckig.
»Weil man sie umbringen würde. Oder vielleicht haben sie Angst, dass sie gefeuert werden und ihre Rentenansprüche verlieren.«
»Moralische Bedenken, die aber doch wieder nicht so gravierend sind, dass sie dafür ihre Rentenansprüche aufs Spiel setzen würden. Das klingt so wirklichkeitsnah, dass es schon unheimlich ist. Aber alles andere … Sie stecken mir also dieses Buch zu. Zwinker, zwinker, schubs, schubs. Und dann programmieren sie mich offensichtlich so, dass ich es nicht lese.«
Dusty bremste den Wagen am Ende einer Schlange, die sich vor einer roten Ampel gebildet hatte. »Ein bisschen schwach, was?«
»Schwach ist gar kein Ausdruck.«
Sie befanden sich auf der Brücke, die sich über den Kanal zwischen dem Hafen von Newport und der dahinter liegenden Bucht spannte. Die Wasseroberfläche der breiten Fahrrinne schimmerte unter dem sonnenlosen Himmel graugrün und war von der kräftigen Brise und der gegenläufigen Strömung schraffiert, sodass sie aussah, als wäre sie wie die Haut eines schlafenden, furchterregenden Reptils aus vergangenen erdgeschichtlichen Zeiten mit Schuppen überzogen.
»Aber es gibt etwas, das alles andere
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