Stimmen der Angst
ihn zu heiraten, ihn früh ins Grab zu bringen, am Vorabend der Beerdigung seine Leber mit gehackten Zwiebeln zu verspeisen und anschließend seinen Sohn mit nichts als einem alten Mercedes und einem schäbigen monatlichen Almosen aus der Villa zu jagen.
Schon im Namen der Gerechtigkeit war der Arzt also entschlossen, Viveca in derselben Nacht zu eliminieren, in der er seinen Vater aus dem Weg räumte. Er bereitete eine zweite Spritze mit dem schnell wirkenden Gemisch aus Thiobarbital und Paraldehyd vor, in der Absicht, eine ihrer Speisen damit zu präparieren oder es ihr direkt zu injizieren.
Nachdem der große Regisseur, gefällt von den vergifteten Petits Fours, in der Bibliothek sein Leben ausgehaucht, aber noch bevor die Sektion seines Tränenapparats stattgefunden hatte, machte sich der Arzt auf die Suche nach Viveca und fand sie schließlich im Bett seines Vaters. Auf dem Nachttisch lagen in achtlosem Durcheinander eine gläserne Crackpfeife und andere Drogenutensilien, und auf dem zerdrückten Laken neben ihr entdeckte er einen Gedichtband. Die Frau schnarchte wie ein Bär, der sich im Spätherbst über einen Weinstock mit halb vergorenen Trauben hergemacht hat; auf ihren Lippen bliesen sich Speichelbläschen auf und platzten.
Sie war so nackt, wie Mutter Natur sie geschaffen hatte, und da Mutter Natur damals offenbar gerade in lasziver Stimmung gewesen war, kam der Arzt auf alle möglichen lüsternen Gedanken. Aber hier stand eine Menge Geld auf dem Spiel, und Geld war Macht, und Macht war besser als Sex.
Sie hatten an jenem Tag einen hässlichen kleinen Streit gehabt, an dessen Ende sie affektiert bemerkte, sie habe noch nie gesehen, dass er vor Rührung weine, wie es sein Vater bei jeder Gelegenheit zu tun pflege. »Wir sind aus demselben Holz, du und ich«, hatte sie gesagt. »Dein Vater hat deinen Anteil an Tränen mit abbekommen, und ich habe meinen Vorrat verbraucht, bevor ich acht war. Wir sind beide knochentrocken. Dein Problem, Doktorchen, ist allerdings, dass du noch ein klitzekleines verschrumpeltes Klümpchen Herz hast, während ich überhaupt keins mehr habe. Wenn du also den Versuch machst, deinen Alten gegen mich aufzuhetzen, kastriere ich dich und lasse dich jeden Abend zu meiner Unterhaltung beim Essen Koloraturen singen.«
Die Erinnerung an diese Drohung brachte den Arzt auf eine Idee, die ihn jeden Gedanken an Sex vergessen ließ.
Er lief zum anderen Ende des Zwölftausend-QuadratmeterGrundstücks, wo sich ein reich ausgestattetes Werkzeuglager und eine Holzwerkstatt befanden. Im ersten Stock desselben Gebäudes hatten Mr. und Mrs. Haufbrock, das Verwalterehepaar, und Earl Ventor, der Hausmeister, ihre Wohnungen. Die Haufbrocks waren übers Wochenende verreist, und Earl war vermutlich nicht ansprechbar, nachdem er in der Nacht in einem heldenhaften patriotischen Einsatz darum gekämpft hatte, das amerikanische Brauereigewerbe vor dem Bankrott durch die Konkurrenz ausländischer Biere zu retten.
Es bestand daher keine Notwendigkeit, sonderlich leise zu sein, als der Arzt eine elektrische Bohrmaschine der Marke Black&Decker aus der Werkzeugsammlung wählte. Er war vorausschauend genug, auch ein orangefarbenes Sieben-MeterVerlängerungskabel mitzunehmen.
Wieder im Schlafzimmer seines Vaters, schloss er das Verlängerungskabel an eine Wandsteckdose an, verband die Bohrmaschine mit der Verlängerungsschnur und kletterte, auf diese Weise ausgerüstet, zu Viveca aufs Bett, wo er sich rittlings über sie kniete. Sie war so berauscht, dass sie, während er im Zimmer hantierte, ungerührt weitergeschnarcht hatte und er nun mehrmals laut ihren Namen rufen musste, um sie zu wecken. Als sie endlich zu sich kam, blinzelte sie und lächelte albern zu ihm auf, als würde sie ihn für einen anderen halten, als würde sie denken, die Bohrmaschine in seiner Hand sei das neueste Modell eines schwedischen Supervibrators.
Dank der vorzüglichen Ausbildung, die er an der medizinischen Fakultät von Harvard genossen hatte, war er in der Lage, den 12-mm-Stahlbohrer exakt an der richtigen Stelle anzusetzen. Dann sagte er zu der verwirrt lächelnden Viveca: »Wenn du kein Herz hast, muss an seiner Stelle etwas anderes sein, und eine Kernbohrung ist der beste Weg, herauszufinden, was es ist.«
Das Kreischen des leistungsstarken kleinen Black&DeckerMotors riss sie aus ihrer Benommenheit. Aber mittlerweile war die Bohroperation bereits in vollem Gang oder, besser gesagt, nahezu abgeschlossen.
Nachdem er sich
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