Stimmen der Angst
sechs Slips in der untersten Schublade der Wäschekommode in Earls Schlafzimmer.
Als Ahriman die Wohnung verließ, schlief Earl immer noch tief und fest. Irgendwann würde ihn das Sirenengeheul wecken.
Im Geräteschuppen nebenan, in dem auch die Rasenmäher untergestellt waren, stöberte der Arzt einen Zwanzig-LiterKanister Benzin auf. Er nahm ihn mit ins Wohnhaus und schleppte ihn dort ins Schlafzimmer seines Vaters.
Nachdem er sich eilig gewaschen und umgezogen und seine blutgetränkten Kleider in einer Tüte verstaut hatte, übergoss er die Leichen mit Benzin, warf den leeren Kanister aufs Bett und zündete den Scheiterhaufen an.
Der Arzt hatte die ganze Woche im Feriendomizil seines Vaters in Palm Springs verbracht und war an diesem Nachmittag lediglich nach Hause in Bel Air zurückgekehrt, um die dringende Familienangelegenheit zu regeln. Nach getaner Arbeit kehrte er nun in die kalifornische Wüste zurück.
Ungeachtet der vielen hübschen und kostbaren Antiquitäten, die den Flammen zum Opfer fallen konnten, sofern die Feuerwehr nicht schnell genug anrückte, nahm Ahriman nichts mit außer der Tüte mit seinen blutgetränkten Kleidern, dem HaikuBand und einem mit einer provisorischen Fixierlösung gefüllten Glas mit den Augen seines Vaters. Nur wenig mehr als eineinhalb Stunden später verbrannte er in Palm Springs die verräterischen Kleidungsstücke zusammen mit einer Handvoll duftender Zedernholzspäne im Kamin und vermischte die Asche später mit dem Rindenmulch, mit dem die Rosenbeete hinter dem Swimmingpool abgedeckt waren. Obwohl es riskant war, die Augen und das schmale Gedichtbändchen aufzubewahren, konnte er es aus einer sentimentalen Regung heraus nicht über sich bringen, sich dieser beiden Dinge zu entledigen.
Er blieb die ganze Nacht wach und sah sich einen alten BelaLugosi-Film nach dem anderen an, aß eine Literpackung Eis und eine große Tüte Kartoffelchips leer, schüttete Nährbier und Limo bis zum Platzen in sich hinein und fing einen Wüstenkäfer ein, den er in ein Glas setzte und mit einem Streichholz quälte. Die drei Haiku-Zeilen des Dichters Okyo hatten seine Lebensphilosophie enorm bereichert, und er nahm sich dessen Lehre von nun an sehr zu Herzen: Das Leben ist kurz, jeder Mensch muss sterben, also nimm dir vom Leben, was du bekommen kannst.
*
Zum Essen tranken sie ein zweites Bier. Da Martie nicht gefrühstückt und mittags nur einen kleinen Vanillemilchshake zu sich genommen hatte, war sie völlig ausgehungert. Aber allein der Gedanke, so kurz nach Susans Tod wieder mit Appetit essen zu können, kam ihr wie ein Verrat an ihrer besten Freundin vor. Das Leben ging weiter, und noch in der tiefsten Trauer schien es möglich, so etwas wie Freude zu empfinden, wenn auch vielleicht mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Und auch angesichts eines latenten Angstgefühls war es offensichtlich möglich, sich leiblichen Genüssen hinzugeben, denn sie ließ sich jeden Bissen ihrer Riesengarnelen schmekken, während sie aufmerksam den Argumenten ihres Mannes folgte, mit denen er die über ihnen schwebende Gefahr einzukreisen und zu benennen versuchte.
Dustys Daumen schnellte wieder in die Höhe. »Punkt sechs – wenn es möglich war, Susan so zu programmieren, dass sie den sexuellen Missbrauch mit sich geschehen ließ und ihn anschließend aus ihrem Gedächtnis löschte, wenn sie auf einen Befehl hin eine Vergewaltigung über sich ergehen ließ, was hätte es dann noch gegeben, das man nicht mit ihr hätte machen können? Punkt sieben – sie fing an, Verdacht zu schöpfen, obwohl sie keinen Beweis hatte, und vielleicht hat dieser vage Verdacht genügt, die Drahtzieher in Alarmbereitschaft zu versetzen. Punkt acht – sie haben mitbekommen, wie sie mit dir über ihren Verdacht gesprochen hat, und haben nun befürchtet, sie könnte auch eine Person einweihen, die nicht unter ihrem Einfluss steht, und darum musste sie unschädlich gemacht werden.«
»Aber woher hätten sie es wissen sollen?«
»Vielleicht war ihr Telefon angezapft. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber wenn es so ist, dass sie beschlossen haben, sie unschädlich zu machen, indem sie ihr den Befehl gaben, sich umzubringen, und Susan es nur deshalb getan hat, weil sie programmiert war, dann war das kein richtiger Selbstmord.
Nicht aus moralischer Sicht und vielleicht nicht einmal vom rechtlichen Standpunkt aus betrachtet. Es war Mord.«
»Und was können wir da unternehmen?«
Dusty kaute eine Weile an einem Bissen
Weitere Kostenlose Bücher