Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
kann, und gänzlich still, als würde sie meditieren oder tief in Gedanken versunken sein, etwas abseits auf der anderen Seite der Lichtung in einem Sessel.
    Martie selbst liegt auf einer Pritsche, vielleicht sogar auf einem stabileren Möbel, einer Couch zum Beispiel, die mit Knöpfen abgesteppt ist und wie glänzendes Leder schimmert. Es muss eine sehr luxuriöse Abenteuerreise sein, wenn man sich die Mühe gemacht hat, Sessel und Sofas mitzunehmen.
    Von Zeit zu Zeit geschehen magische, amüsante Dinge. Ein Sandwich schwebt in der Luft – dicke Weißbrotscheiben mit Banane und Erdnussbutter, wie es aussieht –, bewegt sich vor und zurück, auf und ab, und es verschwinden Bissen daraus, als wäre ein Geist hier bei ihr im Wald, ein hungriger Geist, der sein Mittagessen einnimmt. Auch eine Flasche Nährbier schwebt durch die Luft und neigt sich schräg an einem unsichtbaren Mund, um den Durst desselben Geistes zu stillen, später folgt eine Flasche Traubensaft. Sie nimmt an, dass man auch das nicht anders erwarten kann, denn schließlich wurde der künstlerische Stil, den man als magischen Realismus bezeichnet, sozusagen in Südamerika erfunden.
    Ebenfalls von magischer Qualität ist das Fenster in der Mauer aus Bäumen, das sich hinter und über ihr ausdehnt und durch welches Licht in den Dschungel einfüllt, in dem es sonst ziemlich düster und unheimlich wäre. Alles in allem ist es ein hübsches Plätzchen und eignet sich gut als Standort für ein Lager.
    Wenn man einmal von den Blättern absieht. Die Lichtung ist übersät mit totem Laub, vielleicht von den Mahagoniriesen, vielleicht auch von anderen Bäumen, und obwohl es nur dürre Blätter sind, machen sie Martie nervös. Von Zeit zu Zeit knackt und knistert es darin, obwohl niemand darauf tritt. Nicht das leiseste Lüftchen streicht durch die Bäume, und doch sind die Blätter in ruheloser Bewegung, jedes für sich und in kleinen Häufchen beben sie und scharren aneinander und kriechen mit düsterem Gewisper über den Boden des Lagerplatzes, als könnten sich einfache Blätter zu einer finsteren Verschwörung zusammentun.
    Aus heiterem Himmel bläst ein starker Wind von Westen her. Das Fenster zeigt in Richtung Westen. Es muss offen stehen, denn der Wind fegt hindurch, eine heulende Kreatur, die noch mehr Blätter auf die Lichtung weht, wogende Massen, zischend und flatternd wie Fledermausschwärme, manche feucht und geschmeidig, andere dürr wie Pergament. Der Wind wirbelt auch die Blätter vom Boden auf und treibt sie in wilden Strudeln um die Lichtung – rotes Herbstlaub, saftiges Grün, Blattknospen, ganze Blätterrispen –, wirbelt sie im Kreis herum wie ein Karussell, nur mit gespenstischen Blättergestalten anstelle der Pferde. Plötzlich fliegen sämtliche Blätter wie von Pans Hirtenflöte magisch angezogen zum Mittelpunkt der Lichtung, wo sie zu einer männlichen Gestalt verschmelzen, sich um den unsichtbaren Geist zusammenziehen, diesen Sandwich essenden, Saft trinkenden Geist, der die ganze Zeit über gegenwärtig war und dem sie nun Form und Substanz geben. Drohend ragt der Blättermann auf, gewaltig und furchtbar mit seiner zerklüfteten Halloweenfratze, dem ausgefransten Rachen, den schwarzen Höhlen, wo die Augen sein müssten.
    Martie will von der Couch aufstehen, bevor er sie berühren kann, bevor es zu spät ist, aber sie ist zu schwach, um sich aufzurichten, wie gelähmt von einem tropischen Fieber, Malaria. Oder vielleicht war die Schlange doch giftig, und das Gift beginnt nun zu wirken.
    Der Wind hat die Blätter vom Westen hergeweht, und Martie ist der Osten, und die Blätter müssen in sie eindringen, weil sie der Osten ist, und der Blättermann drückt ihr eine schwere, kratzige Hand aufs Gesicht. Er besteht ganz aus Blättern, eine wogende Masse von Blättern, manche dürr und zerknittert, andere frisch und saftig, wieder andere mit schleimigem Schimmel überzogen und modrig, und er zwängt ihr den blättrigen Stoff, aus dem er besteht, in den Schlund, und sie beißt ein Stück von dem Ungetüm ab, versucht es auszuspeien, aber immer mehr Blätter werden ihr in den Mund gedrückt, und sie muss sie schlucken, schlucken, sonst erstickt sie, weil ihr nun auch in die Nase zerdrückte und zu Staub zerfallene Blätter gestopft werden, und jetzt dringt ihr eine feuchtmodrige Blättermasse in die Ohren ein. Sie will schreien, damit Susan ihr hilft, bringt aber nur ein ersticktes Keuchen heraus, will nach Dusty rufen, aber Dusty ist

Weitere Kostenlose Bücher