Stimmen der Angst
Capone für die Freiheit der Texaner kämpfte.
Skeet durfte jedenfalls nicht auf dem Gelände der New-LifeKlinik Selbstmord begehen. Als stiller Teilhaber an der Klinik hatte Ahriman beträchtliche Einlagen zu schützen. Er musste sich zwar keine Sorgen darüber machen, dass Martie oder Dustin eine Haftungsklage einreichen würden, aber irgendein Verwandter, auf den der Arzt keinen Einfluss hatte, und sei’s ein Vetter zweiten Grades, der seit dreißig Jahren in einer einsamen Hütte in Tibet lebte und Skeet nicht einmal richtig kannte, würde garantiert mit einem Anwalt im Schlepptau angerauscht kommen und einen Kunstfehlerprozess anstrengen, noch bevor der kleine Dopefresser fünf Minuten unter der Erde war. Dann würde eine Geschworenenbank voller Idioten – offenbar die einzige Sorte Mensch, die man heutzutage noch in eine Jury berief – dem tibetischen Vetter eine Milliarde Dollar zusprechen. Nein, Skeet würde aus Sturheit und Leichtsinn und gegen den dringenden Rat seiner Ärzte die Klinik verlassen – und anderswo seinen endgültigen Schlussstrich ziehen.
Eine Murmel, abgefeuert von einem der heldenhaften Kämpfer im Fort Alamo, schoss zwischen den Erhebungen in der Landschaft hin und her und riss sensationellerweise neun Mexikaner und zwei von Al Capones Soldaten mit, die dem Überläufer nicht gefolgt waren.
San Antonio de Valero, der Heilige, nach dem die Franziskanermönche die Missionsstation genannt hatten, zu deren Schutz die mächtige Festungsanlage von Alamo entstanden war, hätte bittere Tränen vergossen angesichts des nicht enden wollenden, grausamen Sterbens im Schatten seiner Kirche – wäre er 1836 nicht schon lange tot und jenseits aller Tränen gewesen. Vermutlich hätte es ihn auch mit einiger Bestürzung erfüllt zu sehen, dass Al Capone diese heilige Stätte effektiver verteidigte als Davy Crockett.
Die erste Nachtwache bei Skeet hatte an diesem Tag Schwester Jasmine Hernandez, die Frau mit den roten Turnschuhen und grünen Schnürsenkeln, die bedauerlicherweise ein Muster an Gewissenhaftigkeit und Unbestechlichkeit war. Der Arzt hatte weder die Zeit noch ein Interesse daran, Schwester Hernandez dem gesamten Programmierungsprozess zu unterziehen, nur damit er Skeet die notwendigen Instruktionen geben konnte, ohne dass sie etwas davon hörte oder sah. Er würde also warten müssen, bis ihre Schicht endete. Um Mitternacht sollte sie von einem faulen Trottel abgelöst werden, der garantiert nichts dagegen hatte, seinen Hintern im Aufenthaltsraum der Klinikangestellten in einen Sessel zu fläzen, sich vom Nachtprogramm berieseln zu lassen und an einer Cola zu nuckeln, während Ahriman eine kleine Unterredung mit Dustins jämmerlichem Halbbruder führte.
Er wollte keinesfalls das Risiko eingehen, Skeet den Befehl zum Selbstmord etwa am Telefon zu erteilen. Der armselige Caulfield junior war im Hinblick auf seine Programmierung ein so unsicherer Kandidat, dass es notwendig war, die gesamte Prozedur von Angesicht zu Angesicht mit ihm durchzugehen.
Büroklammer. Ping. Katastrophe. Colonel Bowie ist gefallen. Colonel Bowie ist gefallen! Nun sind die mexikanischen Truppen führerlos. Capone triumphiert hämisch.
*
Herrlich, dieser Wald, tief und angenehm kühl. Die mächtigen Bäume stehen so dicht beieinander, dass die glatten, rotbraunen Stämme zu einer soliden Mauer verschmelzen. Martie weiß, dass es Mahagonibäume sind, obwohl sie noch nie einen solchen gesehen hat. Sie muss sich in einem südamerikanischen Tropenwald befinden, kann sich jedoch nicht erinnern, eine derartige Reise geplant oder gar ihre Koffer gepackt zu haben.
Sie hofft, dass sie daran gedacht hat, genügend Kleider, das Reisebügeleisen und eine ausreichende Bandbreite an Gegengiften einzupacken, vor allem Letzteres, denn gerade eben hat ihr eine Schlange die Giftzähne in den linken Arm geschlagen. Giftzahn, Einzahl. Die Schlange hat offensichtlich nur einen Giftzahn, und dieser Zahn sieht merkwürdig aus, silbrig und fein wie eine Nadel. Die Schlange ist dünn und durchsichtig und hängt an einem silberfarbenen Baum, der keine Blätter und nur einen einzigen Ast besitzt. Aber schließlich erwartet man im Amazonasbecken nichts anderes als exotische Reptilien und Pflanzen.
Offenbar ist die Schlange nicht giftig, denn Martie zeigt sich keineswegs beunruhigt, und auch Susan nicht, die ebenfalls an dieser Südamerikaexpedition teilnimmt. Im Augenblick sitzt Susan, halb abgewandt, sodass Martie nur ihr Profil sehen
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