Stimmen der Angst
Martie. Sie schob den Stuhl zurück, um aufzustehen, wusste aber nicht, wohin gehen, und setzte sich wieder.
Dusty fragte sich, ob die Leiche des kleinen Mädchens während der nächsten Panikattacke in grausiger Deutlichkeit durch Marties Kopf geistern würde.
»Der Fall war damit eigentlich schon entschieden, die Verteidigung war so gut wie erledigt. Der Staatsanwalt erreichte einen einstimmigen Schuldspruch.«
Der Arzt nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und machte sie auf.
»Rechtschaffenen Menschen passieren schlimme Dinge, wenn sie Mark Ahrimans Wege kreuzen, und er steht am Ende immer wie ein rettender Engel da. Bis zu dem Pastore-Mord in Santa Fe. Mrs. Pastore, eine nette Frau, von der jeder wusste, dass sie nie ein böses Wort gegen andere sagte und die Ausgeglichenheit in Person war, lädt urplötzlich einen Revolver und beschließt, ihre Familie umzubringen. Macht den Anfang mit ihrem zehnjährigen Sohn, den sie mit zwei Schüssen erledigt.«
Die Geschichte war Wasser auf den Mühlen von Marties Angst vor ihrem eigenen gewalttätigen Potenzial, und diesmal wusste sie, wohin sie gehen sollte. Sie stand vom Tisch auf, ging zum Spülbecken, drehte den Wasserhahn auf, pumpte Flüssigseife aus dem Spender und wusch sich wie besessen die Hände.
Dr. Closterman schien ihr Verhalten weder unangebracht noch absonderlich zu finden, obwohl sie kein Wort zu ihm gesagt hatte.
»Der Junge war bei Ahriman in Behandlung. Er war ein starker Stotterer. Es gab Gerüchte, dass Ahriman eine Affäre mit der Mutter hatte. Und ein Zeuge wollte ihn in der Mordnacht am Haus der Pastores gesehen haben. Er behauptete sogar, Ahriman hätte vor dem Haus gestanden und das Gemetzel durch ein offenes Fenster mit angesehen.«
»Mit angesehen?«, sagte Martie, indem sie Papiertücher von einer Wandrolle riss. »Er hat es einfach so … mit angesehen?«
»Wie ein sportliches Ereignis«, sagte Roy Closterman. »Als … wäre er hingefahren, weil er wusste, was sich dort abspielen würde.«
Jetzt konnte auch Dusty nicht mehr still sitzen. Er sprang auf und sagte: »Ich hatte heute Abend zwar schon zwei Bier, aber wenn Ihr Angebot noch gilt …«
»Bedienen Sie sich«, sagte der Arzt. »Über Dr. Mark Ahriman redet es sich nicht gut im nüchternen Zustand.«
Martie warf die Papiertücher in den Mülleimer. »Dieser Zeuge hat ihn also am Haus gesehen … Was wurde daraus?«
»Nichts. Ihm wurde kein Glauben geschenkt. Und die Gerüchte über eine Affäre ließen sich nicht beweisen. Abgesehen davon gab es nicht den geringsten Zweifel daran, dass Mrs. Pastore geschossen hatte. Sämtliche kriminalistischen Befunde belegten das. Aber die Pastores waren sehr beliebt in der Gegend, weshalb viele Leute auch davon überzeugt waren, dass Ahriman bei dieser Tragödie irgendwie seine Hände im Spiel gehabt haben musste.«
Dusty kehrte mit dem Bier zum Tisch zurück. »Also hat ihm die Stimmung in Santa Fe nicht mehr behagt«, sagte er, »und deshalb ist er nach Scottsdale umgezogen.«
»Wo es wieder rechtschaffene Leute gab, denen schlimme Dinge passierten.« Closterman rührte die Fleischbällchen und Würstchen im Soßentopf um. »Ich habe das ganze Material gesammelt. Ich gebe es Ihnen mit, wenn Sie nachher gehen.«
»All diese Dinge«, sagte Dusty, »müssten Ihnen doch eigentlich genügt haben, um ihn im Ornwahl-Fall abzuschießen.«
Roy Closterman nahm wieder am Tisch Platz, und Martie folgte seinem Beispiel.
»Nein«, sagte der Arzt.
Dusty warf ihm einen verwunderten Blick zu. »Aber allein die Sache mit dem anderen Kindergarten müsste doch für sich gesprochen haben …«
»Ich habe nie Gebrauch davon gemacht.«
Das Gesicht des Arztes verfinsterte sich vor Zorn, lief dunkelrot an, als würde sich unter der tiefen Sonnenbräune ein Sturm zusammenbrauen.
Schließlich räusperte sich Closterman. »Jemand hat Wind davon bekommen, dass ich in Santa Fe und Scottsdale herumtelefoniert und Fragen über Ahriman gestellt habe. Eines Abends, als ich aus der Praxis nach Hause kam, saßen zwei Männer in meiner Küche, so wie Sie jetzt hier sitzen. Dunkle Anzüge, Krawatten, sehr gepflegt. Aber sie waren mir völlig unbekannt … und als ich auf dem Absatz kehrtmachte, um das Weite zu suchen, stand plötzlich ein Dritter hinter mir.«
Wenn Dusty auch damit gerechnet hatte, dass Closterman sie auf abwegige Pfade führen würde, so lag diese Route doch völlig abseits von allem, was er erwartet hatte. Und er wollte sie nicht
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