Stimmen der Angst
hatte keine Ahnung, was sie damit meinte, aber in diesem Augenblick hatte er weder die Zeit noch die Geistesgegenwart, den Sinn ihrer Worte näher zu erforschen. Er musste das Risiko eingehen weiterzumachen, ohne sich auf mehr stützen zu können als auf diesen Begriff, die innere Kapelle .
»Wenn ich die Hand hochhalte und mit den Fingern schnippe, wirst du in einen tiefen, friedlichen Schlaf fallen. Wenn ich ein zweites Mal schnippe, wirst du wieder aufwachen und aus der inneren Kapelle zurückkehren, in der du dich jetzt aufhältst. Du wirst dich wieder bei vollem Bewusstsein befinden … und deine Panikattacke wird vorüber sein. Verstehst du mich?«
»Verstehe ich dich?«
Feine Schweißperlen prickelten an seinem Haaransatz. Er wischte sich mit einer Hand über die Stirn. »Sag mir, ob du mich verstehst oder nicht.«
»Ich verstehe.«
Er hob die Rechte, die Kuppen von Daumen und Mittelfinger aneinandergelegt, aber ein letzter Zweifel ließ ihn noch zögern. »Wiederhol meine Instruktionen.«
Sie wiederholte sie Wort für Wort.
Seine Zweifel waren nicht beseitigt, aber er konnte auch nicht die ganze Nacht mit erhobener Hand dasitzen und darauf warten, dass sich irgendwann Zuversicht einstellen würde. Er versuchte, aus den tiefen Kammern seines Gedächtnisses alles hervorzuholen, was er über diese Techniken der mentalen Beeinflussung gelernt hatte, indem er Skeet beobachtet und aus den vielen kleinen Anhaltspunkten seine Schlüsse gezogen hatte. Er konnte keinen offensichtlichen Fehler an dem finden, was er vorhatte – außer vielleicht, dass seinem Handeln mehr Unwissen als Wissen zugrunde lag. Er gab Martie drei leise geflüsterte Worte mit auf den Weg, die sie in ihre Dunkelheit begleiten und dort mit ihr ausharren sollten, falls er einen Fehler machte und sie für immer in ein Koma versetzte – »Ich liebe dich« –, dann schnippte er mit den Fingern.
Im selben Augenblick wurde Martie völlig schlaff und war eingeschlafen, ihr Kopf fiel gegen die Lehne zurück und sackte dann nach vorn, bis das Kinn auf der Brust ruhte und das Haar sich wie schwarze Flügel über ihr Gesicht ausbreitete und es vor Dusty verbarg.
Seine Lunge war wie zugeschnürt, so fest, dass er die Luft mit Gewalt hinauspressen musste, und während er ausatmete, schnippte er ein zweites Mal mit den Fingern.
Martie setzte sich gerade auf, hellwach, aufmerksam, in den Augen keine Spur von Abwesenheit mehr. Sie sah sich verwundert um. »Was zum Teufel …?«
Eben noch hatte sie in blinder Panik um Luft gerungen und in verzweifelter Hektik aus dem Wagen stürzen wollen – und in der nächsten Sekunde saß sie hier ganz ruhig, und die Tür war geschlossen. Der Zirkus des Todes, der seine Zelte in ihrem Kopf aufgeschlagen hatte, war mitsamt seinen verstümmelten Priestern und verwesenden Leichen so plötzlich verschwunden, als hätte ihn der Nachtwind davongeweht.
Sie warf Dusty einen Blick zu, und er sah, dass sie begriffen hatte. »Du.«
»Ich hatte keine andere Wahl. Das war die übelste Attacke, die wir bisher erlebt haben, und es wurde immer schlimmer.«
»Ich fühle mich … frei.«
Valet schob den Kopf zwischen den Sitzen nach vorn und rollte ängstlich und Trost heischend die Augen.
Martie streichelte den Hund. »Frei. Kann es sein, dass damit alles vorbei ist?«
»Ich glaube nicht, dass es so einfach ist«, sagte Dusty unsicher. »Wenn wir es klug und umsichtig anstellen … gelingt es uns vielleicht, uns von dem Einfluss zu befreien. Aber zuerst …«
»Zuerst«, fiel sie ihm ins Wort, während sie ihren Sicherheitsgurt wieder einschnappen ließ, »sehen wir zu, dass wir Skeet aus diesem verdammten Laden rausholen.«
60. Kapitel
Die rußschwarze Katze, die sich auf ihrer Rattenpirsch geschmeidig wie Rauch bewegte, blickte mit glühend orangegelben Augen in das Scheinwerferlicht des Saturn und verschwand dann in der nächtlichen Dunkelheit.
Dusty parkte neben einem Müllcontainer auf der Rückseite des Gebäudes, ohne den schmalen Weg zu verstellen.
Der Hund drückte die Nase am Seitenfenster des Wagens platt, das von seinem warmen Atem beschlug, und sah ihnen nach, als sie zum Lieferanteneingang des New Life eilten.
Obwohl die offizielle Besuchszeit seit zwanzig Minuten vorbei war, hätte man sie wahrscheinlich dennoch zu Skeet nach oben gelassen, wenn sie den Haupteingang benutzt hätten, vor allem wenn sie behauptet hätten, dass sie gekommen seien, um ihn abzuholen. Dieser direkte Weg hätte jedoch nicht
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