Stimmen der Angst
Schlafanzug.«
»Es ist jetzt keine Zeit zum Umziehen, Schatz. Eure Mutter ist wirklich ernsthaft krank.«
»Im Ernst? Claudette ist ernsthaft krank?«, sagte Skeet, dessen Tonfall freudiges Staunen verriet.
Während er Skeets Kleider, so schnell er sie aus dem Schrank zerren konnte, in die Reisetasche stopfte, sagte Dusty: »Es hat sie ganz plötzlich umgehauen.«
»Was, ein Zwanzigtonner oder so?«
Jasmine Hernandez war der fast begeisterte Ton in Skeets Stimme nicht entgangen. Sie setzte eine mißbilligende Miene auf. » Chupaflor , das klingt ja, als würden Sie sich vor Freude fast in die Hose machen.«
»Aber nein«, sagte er mit einem Unschuldsblick auf seine Pyjamahose, »ich doch nicht. Keine Spur.«
*
Dr. Ahriman sagte den Stationsschwestern im ersten Stock Bescheid, dass er nicht gestört werden wolle, solange er mit dem Patienten auf Zimmer 146 beschäftigt sei.
»Er hat mich angerufen, weil er morgen früh die Klinik auf eigenen Wunsch zu verlassen gedenkt, was aber vermutlich sein Tod wäre. Seine Sucht hat ihn immer noch fest im Griff. Wenn er erst einmal draußen ist, dauert es keine Stunde, und er hat sich Heroin beschafft. Und wie ich seine psychische Verfassung einschätze, ist er wirklich darauf aus, Schluss zu machen und sich den goldenen Schuss zu setzen.«
»Ausgerechnet er«, stieß Schwester Ganguss hervor. »Er hat doch alles, was man sich im Leben nur wünschen kann.«
Sie war ungefähr Mitte dreißig, attraktiv und im Allgemeinen die Tüchtigkeit in Person. In der Gegenwart dieses speziellen Patienten benahm sie sich jedoch eher wie ein liebeskrankes Schulmädchen, immer am Rande einer Ohnmacht infolge mangelnder Durchblutung des Gehirns, weil ihr bei seinem Anblick alles Blut in die Genitalien strömte.
»Und er ist so süß«, fügte sie noch hinzu.
Die jüngere der beiden, Schwester Kyla Woosten, teilte ihre Begeisterung für den Patienten auf Zimmer 146 nicht, zeigte aber deutliches Interesse an Dr. Ahriman selbst. Wann immer es sich ergab, dass der Arzt ein paar Worte mit ihr wechselte, griff sie in dieselbe alte Trickkiste der Kunststückchen, die sie mit ihrer Zunge beherrschte. Scheinbar ohne es selbst zu merken – in Wirklichkeit aber steckte mehr Berechnung dahinter, als ein Cray-Supercomputer in vierundzwanzigstündigem Nonstopbetrieb hätte leisten können –, leckte sie sich ständig über die Lippen, um sie zu befeuchten: langsame, laszive Zungenbewegungen. Manchmal, wenn sie über etwas nachdachte, was Ahriman gesagt hatte, streckte sie wie ein kleines Mädchen die Zungenspitze heraus und biss darauf, als könnte das ihrer Denkfähigkeit auf die Sprünge helfen.
Ja, da war sie schon, die Zunge, spielte im rechten Mundwinkel und suchte in dieser sinnlichen, weichen Spalte offensichtlich nach einem Kuchenkrümel, der sich dort eingenistet hatte. Und jetzt teilten sich ihre Lippen vor Staunen, und die Zunge flatterte am Gaumen. Und wieder das Befeuchten der Lippen.
Obwohl Schwester Woosten hübsch war, interessierte sie den Arzt nicht. Vor allem deshalb nicht, weil es gegen seine Prinzipien war, Leute, die für ihn arbeiteten, einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Eine solche Beeinflussung der Angestellten in seinen diversen Unternehmen hätte ihn zwar vor lästigen Forderungen nach höheren Löhnen und besseren Zusatzleistungen bewahrt, aber es lohnte sich in seinen Augen nicht, die damit verbundenen Risiken einzugehen.
Vielleicht hätte er bei Schwester Woosten sogar eine Ausnahme gemacht, weil er ihre Zunge faszinierend fand. Es war ein vorwitziges, rosiges kleines Ding. Er hätte sich gern etwas Besonderes dafür einfallen lassen. Aber in einer Zeit, in der sich kein Mensch mehr über ein Bodypiercing aufregte, in der sich jeder Hinz und Kunz Ohren, Augenbrauen, Nasenflügel, Lippen, Nabel und sogar die Zunge durchstechen ließ, um irgendeinen billigen Tand darin zu tragen, konnte er bedauerlicherweise nicht viel mit Schwester Woostens Zunge anstellen, worüber diese beim Erwachen entsetzt oder auch nur empört gewesen wäre.
Manchmal fand er es frustrierend, als Sadist in einer Zeit zu leben, in der Selbstverstümmelung der absolute Renner war.
Also weiter zu Zimmer 146, zu seinem Starpatienten.
Dr. Ahriman war zwar der Haupteigner der New-Life-Klinik, aber er hatte nur selten eigene Patienten dort. Im Allgemeinen interessierte er sich nicht für Suchtkranke; sie ruinierten ihr Leben selbst so gründlich, dass jedes weitere Unglück, das er hätte über
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