Stimmen der Angst
habe.«
»Herrgott noch mal, Susan, du kannst nicht so eine Bombe platzen lassen und dann einfach …«
»Ich habe keine Lust, mir die Laune zu verderben. Reden wir lieber über den neuesten Cosmopolitan -Tratsch oder hecheln sonst was durch.« Geziert wie ein junges Mädchen sprang sie auf. Schon auf halbem Weg zur Küche, fragte sie: »Was ist jetzt mit noch einem Bier?«
Es war einer dieser Tage, an denen ein kleiner Rausch durchaus nicht zu verachten gewesen wäre, aber Martie lehnte dennoch dankend ab.
In der Küche stimmte Susan Patti LaBelles Klassiker »New Attitude« an. Sie hatte eine schöne Stimme und sang mit fröhlicher Inbrunst, besonders an der Stelle, an der es hieß: Ich hab alles unter Kontrolle, bin leidlich sorgenfrei.
Selbst wenn Susan Jagger ihr völlig unbekannt gewesen wäre, hätte Martie der falsche Unterton in ihrem scheinbar fröhlichen Gesang nicht entgehen können. Beim Gedanken daran, wie sie Susan eben noch vor sich gesehen hatte – völlig weg-getreten, unfähig, ein Wort herauszubringen, bleich wie der Tod, die Stirn schweißbedeckt, den Blick in einem fernen Nichts verloren, die Hände ineinander verkrallt –, erschien ihr dieser sprunghafte Wechsel von der Leichenstarre zum Überschwang unheimlich.
Aus der Küche tönte die Liedzeile: »Ich fühl mich gut von
Kopf bis Fuß.«
Für die Füße mochten die Worte noch gelten. Aber für den Kopf?
16. Kapitel
Dusty war immer wieder aufs Neue erstaunt, wenn er Skeets Wohnung betrat. In den drei kleinen Zimmern und im Bad herrschte eine fast zwanghafte Ordnung und peinliche Sauberkeit. Skeet war physisch und psychisch in einem so heruntergekommenen Zustand, dass Dusty regelmäßig erwartete, in der Wohnung ein einziges Chaos vorzufinden.
Während sein Herr und Meister zwei Reisetaschen mit Kleidern und Waschzeug füllte, machte Valet einen Streifzug durch die Wohnung, schnupperte am Fußboden und an den Möbeln und sog genüsslich die eindringlichen Duftnoten der Wachse, Polituren und Reinigungsmittel ein, die anders rochen als die Marken, die im Haus der Rhodes’ zum Putzen verwendet wurden.
Als Dusty fertig war mit Packen, warf er einen prüfenden Blick in den Kühlschrank, dessen Inhalt aussah, als hätte ihn ein Magersüchtiger im Endstadium dort deponiert. Den Liter Milch, der dem Verpackungsaufdruck zufolge schon drei Tage über das Verfallsdatum war, goss Dusty in den Ausguss. Ein halber Laib Weißbrot wanderte in den Müll, gefolgt vom scheußlich gefleckten Inhalt einer offenen Packung Mortadella, die den Eindruck machte, als würde sie demnächst zu einem behaarten, knurrenden Lebewesen mutieren. Der Rest, bestehend aus Bier, Erfrischungsgetränken und Gewürzen, würde sich halten, bis Skeet wieder nach Hause kam.
Auf dem Küchenbüfett neben dem Zweittelefon entdeckte Dusty das einzige Anzeichen von Unordnung in der Wohnung: ein wüstes Durcheinander von Zetteln, die von einem Notizblock stammten. Auf allen Zetteln stand, wie Dusty bei näherer Betrachtung feststellte, derselbe Name, auf manchen nur einmal, auf den meisten aber gleich drei- oder vierfach. Auf vierzehn Blatt Papier ein einziger – und nur dieser – Name in neununddreißigfacher Wiederholung: Dr. Yen Lo . Auf keinem der vierzehn Zettel war eine Telefonnummer oder sonst eine Information oder Nachricht notiert.
Es war eindeutig Skeets Schrift. Auf einigen Zetteln war sie sauber und flüssig, auf anderen verwackelt, als hätte seine Hand beim Schreiben etwas gezittert. Und er hatte ungewöhnlich fest mit dem Stift aufgedrückt. In mindestens der Hälfte der Fälle zeugte die Schrift von einem solchen inneren Aufruhr – und möglicherweise inneren Kämpfen – des Schreibers, dass sich die sieben Buchstaben des Namens Dr. Yen Lo tief in das Papier eingekratzt hatten.
Außer den Zetteln lag noch ein billiger Kugelschreiber auf dem Büffet. Die durchsichtige Plastikhülle war auseinandergebrochen, die biegsame Miene herausgefallen und in der Mitte geknickt.
Kopfschüttelnd schob Dusty die Einzelteile des Kulis zu einem kleinen Häufchen zusammen.
Er brauchte ungefähr eine Minute, um die vierzehn Notizzettel zu sortieren, indem er den am ordentlichsten beschriebenen obenauf und den krakeligsten zuunterst legte und die übrigen zwölf in der naheliegendsten Reihenfolge dazwischen anordnete. Es war nicht zu übersehen, dass sich das Schriftbild zunehmend verschlechterte. Auf dem untersten Zettel stand der Name nur ein einziges Mal und das
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