Stimmen der Angst
vor sich hin murmelte, doch dann erkannte er, was es war: »… seist du, Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern …«
Wie ein verängstigtes Kind sagte sie in leisem, gehetztem Flüsterton das Ave-Maria auf und nestelte dabei eine Patrone nach der anderen aus dem Magazin, als wären es die Perlen eines Rosenkranzes, den sie als Buße für ihre Sünden beten musste.
Bei Marties Anblick spürte Dusty, der in der Tür stehen geblieben war, wie sich sein Herz vor Angst dehnte und immer weiter dehnte, bis es seine Brust zu sprengen drohte.
Sie schleuderte die nächste Patrone durch den Raum, die daraufhin von der Kommode abprallte … und dann sah sie ihn in der Tür stehen. Ihr ohnehin schon maskenhaft weißes Gesicht wurde noch bleicher.
»Martie …«
»Nein!«, schrie sie ihm entgegen, als er einen Schritt auf sie zu machte.
Sie ließ die Pistole fallen und stieß sie dann so fest mit der Fußspitze von sich, dass sie quer durchs Zimmer über den Teppich rutschte und mit lautem Geschepper gegen die Tür eines Einbauschranks stieß.
»Ich bin es nur, Martie.«
»Mach, dass du rauskommst, geh, geh, geh!«
»Warum hast du Angst vor mir?«
»Ich habe Angst vor mir !« Mit weißen, krallenscharf gekrümmten Fingern hackte sie hartnäckig wie eine Aaskrähe auf das Magazin ein, bis sie die nächste Patrone herausgezerrt hatte. »Um Himmels willen, lauf! «
»Martie, was …«
»Komm mir nicht nah, bitte nicht, du darfst mir nicht trauen«, stieß sie in höchster Not hervor wie eine Hochseilartistin, die im Begriff ist, die Balance zu verlieren. »Ich bin völlig durchgedreht, total verrückt!«
»Liebes, bitte, ich gehe nirgendwo hin, bevor ich nicht weiß, was hier los ist, was passiert ist«, sagte Dusty und ging noch einen Schritt auf sie zu.
Mit einem erstickten Schrei schleuderte Martie die Patrone und das Magazin rechts und links von sich, ohne mit einem der beiden Wurfgeschosse auf Dusty zu zielen, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte ins Badezimmer.
Er lief ihr nach.
»Bitte!«, rief Martie in flehendem Ton, wobei sie versuchte, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Noch vor einer Minute wäre Dusty die Vorstellung, dass ihn die Umstände jemals dazu zwingen könnten, Gewalt gegen seine Frau anzuwenden, völlig abwegig erschienen; jetzt stemmte er sich mit einem flauen Gefühl im Magen gegen sie. Er schob ein Knie zwischen Tür und Rahmen und drängte mit der Schulter voran in den Raum.
Abrupt gab sie ihren Widerstand auf und wich zurück.
Die Tür flog so schwungvoll auf, dass Dusty fast auf der Schwelle gestrauchelt wäre.
Martie wich vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Tür der Duschkabine stieß.
Ohne den Blick von Martie abzuwenden, griff Dusty nach der vom Gummistopper zurückprallenden Tür und hielt sie fest. Dann tastete er nach dem Wandschalter und knipste die Neonlampe über dem Doppelwaschbecken an.
Das harte Licht wurde von Spiegeln, Porzellan und weißgrünen Kacheln reflektiert. Von vernickelten Armaturen, die wie Chirurgenbesteck blitzten.
Martie stand mit dem Rücken an der verglasten Duschkabine. Die Augen fest zusammengekniffen. Die Fäuste an die Schläfen gepresst.
Sie bewegte unaufhörlich die Lippen, aber als hätte sie vor Schreck die Sprache verloren, brachte sie keinen Ton heraus.
Dusty hatte das Gefühl, dass sie wieder betete.
Mit drei Schritten war er bei ihr, fasste sie am Arm.
Ihre Augen, stahlblau und aufgewühlt wie ein Meer im Auge des Hurrikans, öffneten sich schlagartig. »Geh weg!«
Erschrocken über das Ungestüm in ihrer Stimme, lockerte er seinen Griff.
Mit einem dumpfen Plopp sprang die Türverriegelung auf, und Martie wich rückwärts, über den erhöhten Rand der Duschwanne steigend, in die Kabine zurück. »Du weißt nicht, wozu ich fähig bin, o Gott, du hast ja keine Ahnung, du kannst dir nicht einmal vorstellen, wie böse und gemein ich sein kann.«
Bevor sie die Tür zuziehen konnte, drängte er sich dazwischen und hielt sie fest. »Martie, ich habe keine Angst vor dir.«
»Das solltest du aber, das musst du sogar!«
Dusty wusste nicht mehr, was er denken sollte. »Sag mir doch, was los ist.«
Ein Netz feiner Äderchen überzog das schimmernde Weiß ihrer Augen wie Risse in dickem Glas; die schwarzen Pupillen in der Mitte wirkten wie Einschusslöcher.
Die Worte brachen aus ihr heraus wie Granatsplitter: »Ich bin nicht das, was du siehst, irgendwo in mir ist
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