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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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die an den Schliffkanten wie Diamanten funkelten und mit kleinen Glasknöpfen verziert waren, verwandelten sein zotteliges Gesicht in ein kubistisches Porträt, das lustig und dämonisch zugleich wirkte.
    Martie wich von der Tür zurück, nicht weil sie sich vor dem Hund gefürchtet hätte, sondern weil sie Angst hatte, sie könnte ihm etwas antun. Wenn sie wirklich fähig war, Dusty etwas zuleide zu tun, so war auch der arme vertrauensselige Hund nicht sicher vor ihr.
    Aus der Küche hörte sie Dusty rufen: »Martie?«
    Sie gab keine Antwort.
    »Martie, wo bist du? Was ist los?«
    Die Treppe hoch. Schnell, leise, zwei Stufen auf einmal nehmend, leicht hinkend, weil ihr die Hüfte immer noch wehtat. Mit der Linken am Treppengeländer. Mit der Rechten in der Hosentasche.
    Als sie den Treppenabsatz erreichte, hielt sie den Schlüssel umklammert in der Hand; nur die silbern glänzende Spitze lugte aus der krampfhaft geschlossenen Faust hervor. Ein kleiner Dolch.
    Vielleicht konnte sie ihn aus dem Fenster werfen. In die Dunkelheit hinaus. Hinein ins dichte Gebüsch oder über den Zaun hinweg in den Nachbargarten, wo sie ihn nicht so leicht wiederfinden würde.
    Der obere Flur war nur durch den Lichtschein erhellt, der von der Dielenlampe über die Treppe nach oben drang. Sie blieb stehen und sah sich unentschlossen um, weil sich nicht alle Fenster öffnen ließen. Bei einigen waren die Rahmen fest im Mauerwerk installiert. Bei den anderen war nach diesem langen Regentag höchstwahrscheinlich das Holz so aufgequollen, dass sie sich nicht leicht hochschieben lassen würden.
    Das Auge. Der Schlüssel. Hineinstoßen und umdrehen.
    Die Zeit wurde knapp. Dusty konnte jeden Moment bei ihr sein.
    Sie durfte sich nicht aufhalten, durfte keine Zeit damit verschwenden, sich mit Fenstern abzumühen, die wahrscheinlich ohnehin alle klemmen würden, durfte es nicht wagen, sich von Dusty mit dem Schlüssel in der Hand überraschen zu lassen. Bei seinem Anblick würde sie vielleicht durchdrehen und eine der unvorstellbaren Scheußlichkeiten begehen, die ihre Gedanken den ganzen Nachmittag über nicht losgelassen hatten. Dann also das Badezimmer. Den Schlüssel im Klo hinunterspülen.
    Verrückt.
    Tu es einfach. Los, beweg dich, verrückt oder nicht.
    Die Nase an die funkelnde Glasscheibe gedrückt, begann der sonst so ruhige Valet vor der Haustür zu bellen.
    Martie hetzte ins Schlafzimmer, schaltete den Deckenfluter ein. Wollte eben ins Badezimmer weitereilen, als sich ihr Blick schlagartig und scharf wie eine Guillotine auf Dustys Nachttisch senkte.
    In ihrem hektischen Bemühen, das Haus sicher zu machen, hatte sie so harmlose Gerätschaften wie Kartoffelschäler und Maiskolbenspießchen entfernt und hatte doch keinen Gedanken an den gefährlichsten aller Gegenstände im Haus verschwendet, eine Waffe, die nichts anderes war als eine Waffe, die nicht in der trügerischen Gestalt eines Nudelholzes oder einer Käsereibe daherkam: eine halbautomatische .45er, die Dusty sich zum Schutz gegen Einbrecher zugelegt hatte.
    Das war ein neuerlicher Beweis dafür, wie sie sich selbst hinters Licht führte. Die »Andere Martie« – dieses gewalttätige Alter Ego, das so lange in ihr geschlummert hatte und nun aus der Versenkung aufgetaucht war – hatte sie in die Irre geführt, ihre Hysterie geschürt und sie abgelenkt bis zu diesem allerletzten Moment, in dem sie am wenigsten imstande war, klar zu denken und rational zu handeln, dem Moment, in dem Dusty immer näher kam, und just in diesem Moment durfte sie auf einmal – nein, sollte sie – an die Pistole denken.
    Unten in der Diele redete Dusty durch die geschlossene Tür auf den Retriever ein – »Ruhig! Valet, ruhig!« –, und gleich darauf hörte der Hund auf zu bellen.
    Nachdem Dusty die Pistole gekauft hatte, hatte er Martie überredet, Schießunterricht mit ihm zu nehmen. Zehn, zwölf Mal waren sie zusammen auf einem Übungsplatz gewesen. Martie waren Schusswaffen verhasst; sie mochte auch diese nicht, obwohl sie einsah, dass es in einer Welt, in der sich wirtschaftlicher Fortschritt und Kriminalität gleich schnell ausbreiteten, durchaus vernünftig sein konnte, wenn man in der Lage war, sich zu verteidigen. Ihrer Abneigung zum Trotz hatte sie es zu einem erstaunlichen Geschick im Umgang mit der Waffe, einer Spezialanfertigung des Colt Commander in Edelstahlausführung, gebracht.
    Sie hörte, wie Dusty unten im Hausflur Valet für seinen Gehorsam lobte: »Braver Hund! Ganz braver

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