Stimmen der Angst
völlig in sich zusammengekrümmt war, noch kleiner, sodass es aussah, als würde die Angst sie mit ihrem enormen Gewicht immer fester zusammenpressen, bis sie so hart wie Stein, so hart wie ein Diamant war, bis sie in ihrem selbst geschaffenen schwarzen Loch’ implodierte und in die Parallelwelt katapultiert wurde, in der sie einen Moment lang den Autoschlüssel gewähnt hatte, nachdem er aus ihren Händen verschwunden war. Unerschütterlich hielt Dusty sie, wiegte sie, auf dem Boden der Dusche kauernd, sanft in seinen Armen, sagte ihr, dass er sie liebe, dass er sie bewundere, dass sie kein böser Ork, sondern ein guter Hobbit sei, was ihr doch ein einziger Blick auf die lustigen, unweiblichen, aber bezaubernden Füße zeige, die sie von Strahlebob geerbt habe, sagte ihr all die Dinge, von denen er glaubte, ihr damit ein Lächeln entlocken zu können. Ob sie lächelte, konnte er nicht sehen, denn sie hatte das Gesicht in den Armen vergraben. Doch mit der Zeit erlahmte ihr Widerstand. Und nach einer Weile entspannte sich ihr Körper ein wenig, und sie erwiderte seine Umarmung, zögernd zuerst, dann immer entschlossener, bis sie sich schließlich ganz öffnete und beide sich in verzweifelter Liebe aneinander klammerten, weil sie deutlich spürten, dass sich ihr Leben für immer verändert hatte und dass von nun an das Unbekannte wie ein düsterer Schatten auf ihnen lasten würde.
27. Kapitel
Nach den Abendnachrichten im Fernsehen ging Susan Jagger wie jeden Dienstag um diese Zeit durch die Wohnung und stellte alle Uhren nach ihrer digitalen Armbanduhr.
In der Küche gab es neben den integrierten Zeitanzeigern am Herd und am Mikrowellengerät noch eine Wanduhr. Eine stilvolle, batteriebetriebene Art-déco-Uhr stand auf dem Kaminsims im Wohnzimmer, und auf dem Nachttisch neben ihrem Bett befand sich ein Radiowecker.
Normalerweise ging keine dieser Uhren im Laufe einer Woche mehr als eine Minute vor oder nach, aber es machte Susan Spaß, sie regelmäßig sekundengenau aufeinander abzustimmen.
In den sechzehn Monaten fast völliger Isolation und chronischer Angstzustände waren feste Gewohnheiten der Strohhalm geworden, an den sie sich klammerte, um nicht vollends den Verstand zu verlieren.
Jeder Handgriff im Haushalt war einer ausgeklügelten Routine unterworfen, die sie so streng befolgte wie ein Techniker die Sicherheitsvorschriften in einem Atomkraftwerk, in dem jede Unachtsamkeit zur Kernschmelze führen konnte. Wachsen, bohnern, Möbel polieren, all das waren langwierige Beschäftigungen, mit denen sie müßige Stunden füllen konnte. Wenn sie die Hausarbeiten perfekt erledigte und sich dabei an selbst auferlegte Regeln hielt, hatte sie das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Sie empfand das als beruhigend, obwohl sie natürlich sehr wohl wusste, dass es im Grunde eine Illusion war.
Nachdem sie die Uhren gestellt hatte, begab sich Susan in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Tomaten-EndivienSalat. Huhn in Marsala.
Das Kochen war der Höhepunkt ihres Tagesablaufs. Sie hielt sich mit wissenschaftlicher Genauigkeit an die Rezepte, wog und mischte die Zutaten so exakt wie ein Bombenbastler, der mit hochexplosiven Chemikalien hantierte. Essrituale und religiöse Riten wirken so beruhigend auf Herz und Geist wie sonst nichts auf der Welt, wahrscheinlich weil Erstere den Körper und Letztere die Seele nähren.
An diesem Abend konnte sie sich jedoch nicht aufs Schneiden, Reiben, Abmessen und Umrühren konzentrieren. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu dem stummen Telefon. Nachdem sie endlich den Mut gefunden hatte, Martie von ihrem mysteriösen nächtlichen Besucher zu erzählen, konnte sie den versprochenen Rückruf der Freundin kaum erwarten.
Früher hatte es nichts gegeben, was sie Martie nicht bedenkenlos und ohne jede Scheu erzählt hätte. Nun aber hatte sie sich sechs Monate lang nicht dazu durchringen können, mit ihr über die nächtlichen sexuellen Übergriffe zu sprechen.
Natürlich hatte sie auch aus Scham geschwiegen; der Hauptgrund für ihr Schweigen war jedoch ihre Angst, Martie könnte glauben, sie litte unter Wahnvorstellungen. Der Gedanke, dass jemand sie zum wiederholten Male hatte ausziehen, vergewaltigen und wieder anziehen können, ohne dass sie auch nur davon aufgewacht war, schien ihr selbst abwegig.
Eric war kein Zauberer, der heimlich und unbemerkt in ihre Wohnung – und in ihren Körper – eindringen konnte.
Auch wenn Eric willensschwach und ohne Moral sein
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