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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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noch ein anderes Ich, das voller Hass ist und darauf lauert, jemandem wehzutun, Wunden zuzufügen, alles kurz und klein zu schlagen, aber vielleicht ist es auch gar kein anderes Wesen, sondern nur ich allein, und dann bin ich nicht die, die ich immer zu sein geglaubt habe, dann bin ich ein perverses, entsetzliches, abscheuliches Etwas.«
    Eine solche Angst wie in diesem Augenblick hatte Dusty in seinen schrecklichsten Träumen und in den schlimmsten Momenten seines Lebens nicht ausgestanden. In seinem bisherigen Selbstbild hatte die Vorstellung, dass er ein so beklemmendes Ausmaß an Angst überhaupt empfinden konnte, keinen Platz gehabt.
    Er spürte, dass sich die Martie, die er schon so lange kannte, immer weiter von ihm entfernte, dass sie, für ihn unbegreiflich, unaufhaltsam in einen aberwitzigen Strudel gezogen wurde, der rätselhafter war als ein schwarzes Loch in den Weiten des Alls und aus dem sie, selbst wenn etwas von ihrem alten Ich übrig blieb, wenn der Strudel sich wieder schloss, als ein Wesen hervorgehen würde, das ihm so fremd war wie ein Alien.
    Auch wenn sich Dusty bis zu diesem Augenblick nicht darüber im Klaren gewesen war, welcher Angstgefühle er fähig war, hatte er doch immer gewusst, wie trostlos eine Welt sein würde, in der es keine Martie für ihn gab. Die Vorstellung, einem freudlosen, einsamen Dasein ohne Martie entgegenzusehen, war die Quelle dieser Angst, die ihn bis ins Mark erschütterte.
    Martie wich bis in den hintersten Winkel der Duschkabine zurück, die Schultern eingezogen, die Arme vor der Brust verschränkt, die Fäuste in den Achselhöhlen vergraben. Ihre Knochen – Knie, Hüften, Ellbogen, Schulterblätter, Schädel – zeichneten sich so scharf unter der Haut ab, als wollten sie sich aus ihrem Verbund mit dem übrigen Körpergewebe lösen, um sich zu verselbstständigen.
    Als Dusty Anstalten machte, ihr in die Duschkabine zu folgen, sagte sie mit einer Stimme, die hohl von den gekachelten Wänden hallte: »Bitte nicht, o Gott, bitte nicht!«
    »Ich kann dir helfen.«
    Tränenüberströmt bat sie ihn mit gequältem Gesicht und weichen, zitternden Lippen: »Liebling, nein! Komm mir nicht nah!«
    »Egal, was es ist, ich kann dir helfen.«
    Dusty streckte die Arme nach ihr aus. Weil Martie nicht weiter vor ihm zurückweichen konnte, ließ sie sich mit dem Rücken an der Wand hinuntergleiten und kauerte sich auf den Boden der Dusche.
    Er ging ihr gegenüber in die Knie.
    Als er ihr die Hand auf die Schulter legte, stieß sie zusammengekrümmt und mit gepresster Stimme ein einziges Wort hervor: » Schlüssel! «
    »Was?«
    »Schlüssel, der Schlüssel!« Sie zog die geballten Fäuste unter ihren eng an den Körper gepressten Armen hervor und betrachtete sie. Die Finger lösten sich aus der Verkrampfung und gaben den Blick auf die linke, dann auf die rechte Handfläche frei. Beide waren leer. Martie wirkte so verblüfft, als hätte ein Zauberer vor ihren Augen unbemerkt eine Münze oder ein Seidentuch aus ihren Händen verschwinden lassen. »Nein, ich hatte ihn, ich habe ihn immer noch, den Autoschlüssel, irgendwo!« Hastig durchsuchte sie ihre Jeanstaschen.
    Dusty fiel ein, dass er den Autoschlüssel auf dem Fußboden neben dem Nachttisch gesehen hatte. »Er ist dir im Schlafzimmer runtergefallen.«
    Ungläubig starrte sie ihn an, doch dann schien sie sich plötzlich zu erinnern. »Es tut mir Leid! Was ich getan hätte. Hineinstoßen, umdrehen. O mein Gott!« Ein Schauder durchlief sie. Tiefe Scham sprach ihr aus den Augen und überzog die unnatürlich bleichen Wangen mit einem Hauch von Farbe.
    Als Dusty sie in die Arme nehmen wollte, wehrte sie ihn ab, flehte ihn an, ihr nicht zu trauen, seine Augen zu schützen, denn auch wenn ihr der Autoschlüssel aus der Hand gefallen war, hatte sie doch künstliche Fingernägel, die scharf genug waren, ihm die Augen auszukratzen, und plötzlich nestelte sie hektisch an ihren Fingern herum, versuchte die Acrylnägel abzureißen, die dabei ein scharrendes, klickendes Geräusch machten wie Insekten, deren Panzer beim Über- und Untereinanderkrabbeln aneinander stoßen. Schließlich nahm Dusty sie einfach in die Arme, ob sie wollte oder nicht, zwang ihr seine liebevolle Umarmung auf, zog sie so fest an sich, als könnte er sie mit seinem Körper wie ein Blitzableiter erden und sie so auf den Boden der Wirklichkeit zurückbringen. Sie wurde ganz steif, verkroch sich in einen emotionalen Panzer und machte sich, obwohl sie auch so schon

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