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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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und Kyle und Jacob sollten wenig später zum Strandhaus von Kyles Eltern aufbrechen. Aber es war so praktisch gewesen, den College-Abschluss noch vollends abzuwarten. Sie mussten nicht mal offiziell Schluss machen, brauchten nur einfach tschüss sagen und in entgegengesetzte Richtungen davonfahren.
    Es war leicht, jetzt, nach so vielen Jahren, die eigenen Fehler zu erkennen und die eigene Feigheit zu bereuen. Damals hatte Grace lediglich beschlossen, Jacob in den wenigen verbleibenden Wochen des College-Jahres aus dem Weg zu gehen. Weshalb sie sich auch, als Kyle fragte, ob sie zur Party auf Hillyers Farm gehen wolle, versichert hatte, dass Jacob nicht mit ihnen fahren würde. Natürlich würde er auf der Party sein, aber unter Hunderten von anderen würde sie ihn schon meiden können.
    Kyle wollte mit dem dunkelgrünen Range Rover seines Vaters auf die Party fahren, und Grace kam mit einem Schlafsack und einem Kissen zu ihm, weil sie unter freiem Himmel schlafen wollten. Ihre gute Laune sank jedoch gleich, als sie Kyle mit Jacob auf einem Sofa sitzen sah. Jacobs Mitfahrgelegenheit hatte sich offenbar zerschlagen. Nun würde er doch mit ihnen fahren, und Kyle und er hatten bereits ihre eigene Party gestartet und tranken billiges Budweiser aus der Dose. Sie hatten einen Zwölferpack hinten im Range Rover verstaut, zusammen mit ihren Schlafsäcken, und obwohl Grace kurz daran dachte, sich mit einer Ausrede wieder auf den Weg nach Hause zu machen, klang die Party doch zu verlockend, um sie zu verpassen. Sie bot an zu fahren, weil sienoch nichts getrunken hatte. Doch Jacob behauptete, er sei nüchtern genug, und kutschierte sie mit offenen Fenstern und voll aufgedrehter Stereoanlage hinaus aufs Land und sang dabei die ganze Zeit mit. Grace hatte ihn noch nie so glücklich gesehen. Mit der Aussicht auf den Urlaub im Strandhaus von Kyles Eltern und auf den Job in New York hatte sich für ihn alles bestens entwickelt. Sie erinnerte sich noch, wie er einmal »Treffer!« schrie, als er eine halb volle Bierdose aus dem Fenster warf und einen Briefkasten eindellte.
    Das einzige Problem war, dass Jacob den Weg zu Hillyer nicht genau kannte. Er kannte die grobe Richtung, und in der Gegend gab es nicht allzu viele Straßen. Doch im Dunkeln sahen die Wiesen und Wälder ohne Straßenbeleuchtung alle irgendwie gleich aus, und so hatten sie schon zwanzig Minuten gesucht, als Jacob plötzlich Professor Greenes Haus wiedererkannte. Offenbar war er mal mit einer gewissen Lauren zusammen gewesen, die als Studentin mit Hauptfach englische Literatur einst zu einem Institutspicknick dort war und es ihm gezeigt hatte. Er wusste, dass es zu Hillyers Farm auf dieser Straße weiterging. Aber Jacob musste pinkeln, und er sagte, da könne er doch auch gleich auf die Wiese der Professorin pinkeln, zumal sie ihm sowieso nicht die Note gegeben hatte, die er haben wollte. Und so gingen sie alle hinunter zum Bach.
    Jacob und Kyle redeten und lachten, und Grace wusste, dass sie irgendwen im Haus aufwecken würden, und es überraschte sie nicht, als Professor Greene auftauchte. Sie war sehr nett, in Anbetracht der Umstände, und alles wäre bestens gewesen, wenn die Studenten sofort gegangen wären. Aber Grace machte den Fehler, nach der Toilette zu fragen, was Kyle Gelegenheit gab, mit ins Haus hineinzugehen und sich auf die Jagd nach einem Souvenir zu machen.
    Emma Greene war die Erste, soweit Grace wusste, die Kyle je beim Diebstahl erwischt hatte, und die Professorin war unglaublich wütend geworden   – Grace hatte noch nie eine Frauso wütend werden sehen. Im Seminar war Professor Greene die Ruhe selbst und verlor ihren Humor auch dann nicht, wenn die Studenten ihre Texte nicht gelesen oder die Klausur nicht bestanden hatten. Doch als sie die Puppen sah, die Kyle stehlen wollte, und all die winzigen Kleidungsstücke, die er sich in die Taschen gestopft hatte, raste sie geradezu vor Wut.
    Den nächsten Teil der Geschichte hatte Grace Maggie nicht zu erzählen brauchen, das Mädchen hatte alles miterlebt   – das Geschrei, die Beschimpfungen, die Eskalation hin zur Gewalt.
    »Warum haben Sie von all dem der Polizei nichts erzählt?«, fragte Maggie.
    »Ich hatte Angst und schämte mich.«
    »Aber Sie haben andere Dinge erzählt«, sagte Maggie. »Dinge, die nicht stimmten.«
    »Ja«, erwiderte Grace. »Und das ist durch nichts zu entschuldigen.«
    Grace und Kyle waren vom Ort des Geschehens geflohen, während Jacob blutend in Emmas Schoß lag,

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