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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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kroch dann auf dem Bauch voran, um das Kätzchen an seinen Platz zurückzubringen. Doch als er die Hand ausstreckte, um es zu den anderen zu legen, schlug die fauchende Mutter aus.Erschrocken fuhr Jacob hoch, stieß mit dem Kopf gegen die Holzbohlen und krabbelte unter wüstem Geschimpfe rückwärts unter der Veranda hervor.
    »Leuchte mal auf meinen Arm«, sagte er zu Kyle, der die Taschenlampe hielt. Drei blutende Kratzstriemen zogen sich von seinem Ellbogen bis fast zum Handgelenk.
    »Das verdammte Katzenvieh hat bestimmt Tollwut.« Jacob nahm Kyle die Taschenlampe aus der Hand und leuchtete auf den Wurf, genau in die Augen der fauchenden rotbraunen Katzenmutter.
    »Du willst was von mir? Hey,
du
willst was von
mir

    Anfangs erschien es lustig, wie Jacob mit italienischem Akzent einen Mafioso imitierte. Doch dann begann er sich der Katze ganz langsam wieder zu nähern, die Taschenlampe in der linken Hand und dem Tier in die Augen leuchtend. Und als er die rechte vorstreckte, raunte er mit leiser, süßer Stimme: »Hier, Mieze. Hab ich dich etwa erschreckt? Ich tu dir nicht weh. Oh nein, keine Angst. Ich tu dir nicht weh.« Die Katze peitschte mit dem Schwanz, während das Licht sich näherte. »Ich will dich nur streicheln. Lass mich dich nur mal streicheln.«
    Und plötzlich stieß Jacob vor und packte die Katze beim Schwanz. Sie fauchte und versuchte, ihn zu beißen. Doch er riss sie weg von dem Wurf, dass ihre Klauen über den Boden kratzten, und rannte dann an Kyle und Grace vorbei durch die Holztür hinaus in den leeren Garten. Die Katze hing, am Schwanz gepackt, in der Luft und versuchte, den Körper so zu drehen, dass sie Jacob in die Hand beißen konnte. Doch er lachte nur. »Na, jetzt bist du nicht mehr so stark, was?«
    »Seht her«, rief Jacob und begann, die Katze über seinem Kopf kreisen zu lassen wie die Blätter eines Hubschraubers. Bei jeder Umdrehung zählte er laut mit: »Eins   … zwei   … drei!« Und auf einmal streckte er den Arm nach links aus und schlug den Kopf der Katze gegen den Stamm einer Eiche.
    Es geschah so plötzlich, dass Grace nicht einmal Zeit blieb, die Augen zu schließen. Sie hörte das Krachen des Tierschädels und sah den Körper schlaff aus Jacobs Hand gleiten   – noch nicht ganz tot, aber fast. Ein Auge war aus der Höhle getreten, und aus Maul und Nase rann Blut. Jacob griff nach einem Stock und stocherte auf dem hervorgetretenen Auge herum, während Grace so stark zu schluchzen begann, dass sie kaum noch Luft bekam.
    »Zum Teufel noch mal«, rief Kyle. »Jacob! Lass das.«
    Jacob zuckte die Achseln, bückte sich und hob die Katze ein letztes Mal am Schwanz hoch. Zu dem Zeitpunkt war das Tier bereits tot, und Jacob schwang es noch einmal über seinen Kopf, ließ los, und der Kadaver flog hinter das Gebüsch rechts vom Haus. Mittlerweile konnten sie die Kätzchen unter der Veranda verzweifelt nach ihrer Mutter schreien hören, die nicht wiederkommen würde.
    Jacob starrte die schluchzende Grace finster an. »Kannst du nicht dafür sorgen, dass sie aufhört?«, schnauzte er, und Kyle brachte sie nach Hause in ihr Studentenapartment.
    Kyle kam am nächsten Vormittag zu ihr, doch Grace sagte ihm, dass sie sich krank fühle und keinen Besuch wolle. Am Nachmittag hörte sie, wie erzählt wurde, dass die Katzenmutter ihren Wurf verlassen habe. Ein paar der Studenten waren unter die Veranda gekrochen und hatten zwei der Kätzchen schon tot aufgefunden. Jetzt versuchten sie, die beiden anderen zu retten, indem sie sie mit warmer Milch aus einer Pipette fütterten. Immer wenn Grace später an dem Haus vorbeiging, musste sie an die Katze denken, die dort tot im Gebüsch lag und langsam verrottete. Selbst als sie nach neun Jahren zum ersten Mal nach Jackson zurückkam, hatte Grace in Gedanken das Skelett noch hinter dem Gebüsch liegen sehen, unentdeckt und begraben unter der Erde fast eines ganzen Jahrzehnts, immer noch wartend.
    Das alles hatte Grace Maggie erzählt, und sie sah, wie das Mädchen zusammenzuckte, als der Kopf der Katze gegen denBaum schlug. Doch ein Detail beichtete sie nicht   – als Emma Greenes Baseballschläger gegen Jacobs Kopf krachte, war Graces erster Gedanke gewesen, dass nun die Katze gerächt sei. So entsetzlich die Szene in dem Hausflur auch gewesen war, sie schien etwas mit Karma zu tun zu haben.
    Sie hätte sofort nach dem Tod der Katze mit Kyle Schluss machen müssen. Der Frühlingsball war längst vorbei, das College-Jahr ging zu Ende,

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