Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
Vom Netzwerk:
»betrunken« und »total besoffen« sagten.
    Die beiden hatten die Stufen der Veranda erreicht. Maggie hörte das Schlappen von Flip-Flops auf den Schiefersteinen. Als Nächstes das schrille Geräusch der Fliegengittertür, die mit einem Quietschen aufging und dann zufiel, gefolgt von dem dumpfen Knarren von Holzdielen, als die Studenten den Flur unten betraten. »Nettes Haus«, sagte die weibliche Stimme, und an der Richtung, die ihre Schritte nahmen, erkannte Maggie, dass die beiden das Spielzimmer hinten im Haus betraten.
    Ein Gefühl der Scham durchfuhr sie, als sie daran dachte, wie ihre Mutter sie am frühen Abend noch ausgeschimpft hatte, weil sie das Zimmer nie ordentlich aufräumte. Ihre nackten Barbies und Polly Pockets lagen immer noch verteiltauf dem Tisch und den Stühlen herum, während der Fußboden mit Legosteinen übersät war, den Überresten eines Zoos, der einst zehn Zentimeter große Plastikdinosaurier beherbergt hatte.
    Maggie lauschte auf das Gekicher der Studenten und fragte sich, ob die beiden darüber lachten, dass sie ihren Barbies das Haar zu stoppeligen Igelfrisuren schnitt, oder über die Vorschulbilder an den Wänden: Bäume mit kreisrunden Kronen vor einem knallblauen Himmel. Sie hörte einige Töne ihres Alligator-Xylophons erklingen, zuerst noch ohne Melodie, dann mündeten sie in eine nachlässig gespielte Version von ›Mary hat ein kleines Lamm‹. Die Toilettenspülung rauschte, und die Stimmen kamen zurück in den Flur, die Schritte bewegten sich wieder auf die Haustür zu, ehe sie innehielten.
    »Nein«, sagte die weibliche Stimme.
    »Das dauert doch nicht lange.«
    »Ich will aber nicht.«
    »Ich will aber nicht.«
Die männliche Stimme äffte die weibliche in einem hohen, sarkastischen Tonfall nach. »Nur ganz kurz. Na, komm schon.«
    Das Knarren der Stufen verriet Maggie, dass die Studenten die Treppe heraufkamen. Instinktiv drehte sie sich zur Wand um und zog sich die Bettdecke bis über Nase und Wangen, sodass nur noch ihre Augen heraussahen. Die Schritte hielten am Treppenabsatz inne, dann gingen sie den Flur entlang und ins Schlafzimmer ihrer Eltern hinein. Kommodenschubladen wurden aufgezogen und wieder geschlossen, und Maggie hörte die blechernen Akkorde der edelsteinbesetzten Spieldose ihrer Mutter, ein winziger Flügel, der ›Für Elise‹ spielte.
    Die Sprungfedern des Bettes ächzten.
    »Das sollten wir nicht tun«, protestierte die weibliche Stimme.
    »Nur ganz kurz«, erwiderte die männliche. Noch ein Ächzen, gefolgt von einem glucksenden Lachen. Wieder Schritte im Flur, die Studenten begannen, von Zimmer zu Zimmer zugehen, Schubladen aufzuziehen und in Schränke hineinzuspähen. Immer weiter näherten sie sich dabei ihrer Tür. Maggie drückte Sophie an die Brust und hatte nur den einen inständigen Wunsch, dass diese Fremden wieder gehen mögen.
    »Schhhhhh«, wisperte ihre Tür, als sie über den Teppich strich. Die Deckenlampe wurde eingeschaltet. Im grellen Licht blinzelnd sah Maggie einen großen Jungen in braunen knielangen Shorts und schwarzen Sandalen, dessen stämmige weiße Beine mit rotblonden Härchen übersät waren. Auf dem T-Shirt , das ihm über den gewölbten Bauch hing, war die Cartoonzeichnung eines Hais zu sehen, der kurz davor war, einen ahnungslosen Taucher zu fressen. Sogar mit der eingeschränkten Lesefähigkeit einer Vorschülerin konnte Maggie den Aufdruck entziffern: »Das Leben ist scheiße.« Der Student schien Maggie nicht zu bemerken. Er ging geradewegs auf die Kommode zu und öffnete die violette Schachtel voller Bänder und Haarspangen, dann hob er ihre Welpen-Sparbüchse hoch und ließ die Münzen darin klimpern. Schließlich nahm er ihre violette Bürste zur Hand, sah in den Spiegel und kämmte sich mit einem selbstgefälligen Lächeln die blonden Haare, bis seine Hand plötzlich innehielt. Im Spiegel hatte er, über seine rechte Schulter hinweg, den rosa Baldachin entdeckt und darunter die großen dunklen Augen, die ihn anstarrten. Einen Moment lang erwiderte er den Blick im Spiegel und sah Maggie direkt in die Augen, gerade so, als wollte er sie herausfordern:
Na, was willst du jetzt tun?
Maggie blinzelte nicht ein einziges Mal. Ihre Augen wurden größer und immer größer, bis der Student schließlich den Blick abwandte, einen Schritt rückwärts taumelte und dann plötzlich zur Tür hastete, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Es wurde wieder dunkel im Zimmer, als er das Licht ausschaltete und die Tür hinter

Weitere Kostenlose Bücher