Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht
ihrer Verbindungen zu Mason Caldwell. Er ist das Ass in ihrem Ärmel. Wir setzen auf ihn, er spendet dem College jedes Jahr eine Million Dollar, und für den Bau von Caldwell Hall hat er uns zwanzig Millionen gestiftet. Jetzt fürchtet der Finanzausschuss bereits, dass diese ganze Affäre bei ihm einen schalen Beigeschmack hinterlassen könnte. Deshalb hat es oberste Priorität, Caldwell zufriedenzustellen und ihm zu zeigen, dass das College das Ganze auf professionelle, diskrete Weise handhabt. Wenn das College mit Mrs Stewart einen Vergleich schließt, kommt das Geld dafür letzten Endes ja sowieso von Mason Caldwells Konto.«
Es hat oberste Priorität, Caldwell zufriedenzustellen.
Emma lächelte bitter. Priorität hatte natürlich weder die Gerechtigkeit noch die Sicherheit der Fakultätsmitglieder. Und auch nicht die Bestrafung der Studenten, die aus den Büros der Professoren Sachen stahlen, unbefugt private Grundstücke betraten und Frauen mit dem Tod bedrohten. Priorität hatte für das College der stetige Geldfluss, die Höhe des Spendenaufkommens, der Bau neuer Gebäude.
Sie blickte Jodie in die Augen und sah die Frau und die Verwaltungsexpertin im Konflikt miteinander, das instinktive Mitgefühl zurückgehalten von den Pflichten des Amtes. Jodie senkte den Blick, und bei dieser Geste kam Emma plötzlich eine Erkenntnis, die so gewiss war wie der Tod:
Sie würde keine Festanstellung am College bekommen.
Jetzt nicht mehr.Sie hatte keine Chance. Das Komitee zu ihrer Begutachtung würde im kommenden Winter zusammentreten, und selbst wenn sie ihr eine Empfehlung aussprächen, würde die Verwaltung sie niemals bestätigen. Nicht, wenn ein Prozess anhängig war, und nicht, wenn sie öffentlich als Joints rauchende, Blut verspritzende, radikale Spinnerin verhöhnt wurde.
Sie fragte sich, ob Mrs Stewart ihre, Emmas, prekäre Situation kannte – dass jeder Schritt während ihrer Laufbahn darauf ausgerichtet sein musste, ob er dem College gefiel. Nach einem Leben voller Prüfungen, von der Grundschule bis zum College-Abschluss und weiter zur Promotion nach dem Graduiertenstudium, war die Festanstellung als Professorin die letzte Hürde, und Mrs Stewart würde sicherstellen, dass Emma diese nicht nahm.
Ihre Aussichten auf Festanstellung waren immer unsicher gewesen. Sie hatte die alte Garde des Instituts für Englische Philologie schon am Ende ihres ersten Probejahres irritiert, als sie im Frühling bekannt gab, dass sie schwanger war. Es war ein äußerst schlechtes Timing gewesen, nach einem Jahr bereits für das folgende Semester Mutterschutz zu beantragen. Die Einschreibungen für den Herbst hatten schon Wochen zuvor stattgefunden, und sie konnte geradezu sehen, wie die Gedanken ihres Institutsleiters zu rasen begannen, als sie ihm die Neuigkeit mitteilte – er würde jemanden einstellen müssen, der ihre drei Seminare übernahm, und es war sehr schwierig, jemanden für nur ein Semester zu finden, vor allem so spät im Frühling.
Die Schwangerschaft hatte Emma genauso überrascht wie ihre Kollegen. Ihre Frauenärztin hatte ziemlich betreten herumgedruckst, als sie ihr erklärte, dass Emmas Spirale sich irgendwie verschoben habe. Emma und Rob hatten Kinder gewollt, aber nicht so früh, nicht auf diese Weise, nicht ehe sich ihre Laufbahn gefestigt hatte.
»Uni-Institute müssen sich dauernd mit Schwangerschaften auseinandersetzen«, hatte Sarah ihr versichert. »Das istkeine große Sache.« Doch Emma hatte gespürt, wie der Blick der älteren Kollegen sich auf ihren Bauch konzentrierte, je weiter Maggie heranwuchs. Sie hatte zwar Trotz empfunden, sich aber auch in die Defensive gedrängt gefühlt – paradoxe Impulse, die das dringende Bedürfnis in ihr weckten, sich selbst zu beweisen. Und so hatte sie die Monate vor Maggies Geburt damit zugebracht, zwei Kapitel ihrer Doktorarbeit zu Aufsätzen umzuarbeiten, die im Jahr darauf in Zeitschriften erschienen. Seitdem war noch ein weiterer Aufsatz von ihr erschienen, aber jetzt wusste Emma, dass das nicht reichen würde. Wenn sie der aufgehende neue Star des Instituts für Englische Philologie gewesen wäre, die junge Professorin mit dem von der Kritik gefeierten Buch, dem Aufsatz in der wichtigsten Zeitschrift ihres Fachs oder die Stipendiatin einer hochangesehenen Stiftung, hätte ihre Leuchtkraft die dunklen Wolken eines Prozesses wohl überstrahlt. Aber sie hatte keinen Vertrag zur Veröffentlichung eines Buches, den sie als Rüstung anlegen konnte,
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