Stirb für mich: Thriller
Exmann?«
»Unter ›stressigen‹ Umständen kommen sie nicht gut miteinander aus.«
»Keine Freundinnen?«
»Eine in Brasilien, und die hat eigene Probleme.«
Mercy strich sich mit ihrer behandschuhten Hand seufzend über ihre dichten Locken. »Und die guten Nachrichten?«, fragte sie.
»Jordan, unser Entführer, ist der verspielte Typ. Ein provokativer Angeber. Verbreitet sich gern über das Thema: ›Sie wissen nicht, wie Ihre Tochter wirklich ist.‹«
»Das kenn ich.« Mercy seufzte erneut.
»Ich habe übrigens mit Mum gesprochen; sie nimmt Amy, und ich hab Amy eine SMS geschickt«, sagte Boxer.
»War Esme entsprechend begeistert?«
»Oh, ich denke schon«, sagte Boxer leichthin. »Die schlechte Nachricht ist, dass Jordan unberechenbar ist. Beim einen Anruf wirkt er ruhig und kontrolliert, beim nächsten arrogant und anmaßend.«
»Okay. Dann beeilen wir uns besser«, sagte Mercy. »Können wir das drinnen besprechen, Charlie? Ich frier mir hier den Arsch ab.«
Mittlerweile tränten ihre Augen, und ihre sonst dunkel glänzende Haut wurde grau. Sie hasste die Kälte und hatte sich auch nach zwanzig Jahren in England noch nicht daran gewöhnt. Boxer öffnete die Tür, ließ die beiden herein und schüttelte George Papadopoulos die Hand. Sie legten die Mäntel ab und gingen in die Küche, wo Boxer sie Isabel Marks vorstellte, die ihnen Kaffee eingoss. Er hatte eigentlich nicht daran gezweifelt, trotzdem freute es ihn zu sehen, dass Isabel und Mercy sich auf Anhieb mochten.
»Also, Mercy, wie passen Sie und George in dieses … Szenario?«, fragte Isabel.
»Ich bin Charlies Reserve«, sagte Mercy. »Wenn sich die Entführung hinzieht, übernehme ich nach zwei Wochen. Das heißt, ich muss alles wissen.«
»Und George?«
»Er beobachtet und lernt. Er ist mein Trainee.«
»Mercy und George werden auch Ermittlungen im Zusammenhang mit der Entführung übernehmen«, sagte Boxer.
»Was bedeutet das genau?«
»Wir werden herausfinden, wo, zu welcher Uhrzeit und mit wem Alyshia zuletzt gesehen wurde«, sagte Mercy. »Wir erstellen ein Bild von den Entwicklungen vor dem Ereignis in der Hoffnung, dass es uns Hinweise darauf liefert, mit wem wir es zu tun haben. Mit einem Einzeltäter oder einer Bande. Vielleicht einem enttäuschten Exfreund. Leute aus ihrem alltäglichen Umfeld wissen womöglich etwas über auffällige Charaktere, konfliktreiche geschäftliche Interaktionen und dergleichen. Vielleicht finden wir auch etwas, das wir in den Verhandlungen mit dem Entführer benutzen können, etwas, das uns einen Vorteil verschafft. Wie Sie in den Gesprächen mit Jordan gemerkt haben, ist Wissen in diesem Spiel gleichbedeutend mit Macht.«
»Aber Sie werden nicht die Polizei einschalten.«
»Keine Sorge, dies ist eine vertrauliche Ermittlung, und wir werden äußerst diskret vorgehen. Wir wissen von den Drohungen«, sagte Mercy. »Und nun würden wir gern damit anfangen, Ihre Geschichte zu hören. Unser Einsatzleiter hat uns eine knappe Einführung gegeben, doch es in Ihren eigenen Worten zu hören ist natürlich trotzdem etwas ganz anderes.«
Mercy bewegte Isabel dazu, sich detailliert zu erinnern, hakte als mitfühlende Frau und kluge Ermittlerin intensiver nach und wurde belohnt.
»Alyshia hat sich eine eigene Wohnung gesucht, weil wir uns nicht so gut verstanden haben. Ich fand ihre Verschlossenheit schwer erträglich«, sagte Isabel. »Irgendetwas war in Mumbai passiert. Von meinem Mann erwarte ich Geheimniskrämerei, aber doch nicht von meiner Tochter. Sie hat mir immer alles erzählt.«
»Alles?«, fragte Boxer. »Gibt es das überhaupt?«
»Nein«, sagte Mercy. »Wie wir allzu oft bitter erfahren müssen. Junge Menschen haben ihr eigenes Leben.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte Isabel.
»Der Kidnapper hat Alyshias Handy irgendwo an der M4 abgelegt. Wenn es gefunden wird, erhoffen wir uns neue Erkenntnisse«, sagte Boxer.
»Worüber?«, fragte Mercy.
»Über Alyshias ›Beziehungen‹, nehme ich an«, antwortete Isabel. »Ein Freund, von dem sie mir nie etwas erzählt hat.«
Boxer steckte den iPod ins Dock, und sie hörten sich die Aufzeichnung des zweiten Telefonats an.
»Gut«, sagte Mercy, »versuchen wir uns ein Bild zu machen, indem wir vom Moment der Entführung an chronologisch rückwärtsgehen. Wo arbeitet Alyshia?«
Schweigen.
»Isabel?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Isabel, verlegen, schon an der ersten Hürde zu scheitern. »Sie hat nur gesagt, sie würde in
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