Stirb für mich: Thriller
des Werkes aufrechtzuerhalten, während er gleichzeitig strukturelle Veränderungen einführte. Er arbeitete und schlief. Er hatte nichts mit Verkauf und Marketing zu tun.«
»Fandest du es damals merkwürdig, dass dein Vater euch nicht noch einmal miteinander bekannt gemacht hat?«
»Ich hatte noch niemanden aus dem Vorstand kennengelernt. Mein Vater sagte, das würde erst geschehen, wenn ich mich bewiesen hätte. Unter seiner Führung ging es strikt nach Verdienst, anders als in vielen anderen indischen Industriellendynastien.«
»Was war dein erster Eindruck von Deepak?«
»Ernst. Mit den Gedanken immer bei der Arbeit. Keine Zeit zum Leben.«
»Das heißt, physisch hat er keinen Eindruck auf dich gemacht?«
»Nicht sofort«, sagte Alyshia. »Erst später. Er war wie einer dieser Filmschauspieler, die nicht besonders bemerkenswert aussehen, sodass man sich fragt, wie zum Teufel sie es auf die Leinwand geschafft haben, bis man entdeckt, dass sie eine sehr rare Qualität besitzen: Man sieht ihnen zu. Wenn sie im Bild sind, verfolgt man jede ihrer Bewegungen.«
»Charismatisch?«
»Nein, das war er nicht«, sagte Alyshia. »Nicht wie mein Vater. Deepak beherrscht einen Raum nicht, sobald er ihn betritt, eher im Gegenteil. Er glänzte nicht aus sich heraus, sondern zog das Licht durch seine Intensität an. Er hatte eine Präsenz, aber eine dunkle.«
»Auf den ersten Blick keine besonders attraktive Eigenschaft«, sagte die Stimme. »Es sei denn …«
»Es sei denn, was?«
»War es etwa zur selben Zeit, dass du ein paar dunkle Seiten an dir selbst entdeckt hast?«, fragte die Stimme. »Wie sah dein Privatleben damals aus?«
»Cricket-Spieler, Bollywood-Schauspieler, Industrielle und Söhne von hohen Staatsbeamten.«
»Irgendwelche Freunde?«
»Freundschaft ist in dieser Welt nicht im Angebot«, sagte sie. »Kontakte sind alles, aber nur um ein Netz aus Beziehungen zu knüpfen. Echte Vertrautheit ist nicht nur selten, sondern auch gefährlich. Andere Dinge sind so wichtig, dass es ein Fehler wäre, sich zu offenbaren. Vertrautheit macht einen verwundbar. Die Maske muss immer fest sitzen.«
»Hat Deepak damit zum ersten Mal großen Eindruck auf dich gemacht?«
»Der Eindruck, den er hinterlassen hat, war nie groß, aber es hat sich summiert«, antwortete Alyshia. »Er sieht nicht besonders gut aus. Er ist nicht übermäßig witzig. Er ist nicht offensichtlich brillant oder weltgewandt. Aber hinterher hatte ich jedes Mal etwas Unvergessliches für mich behalten. Ich hatte nie das Gefühl, emotional in etwas hineingezogen zu werden, deshalb habe ich auch keinen Schrecken bekommen und bin weggelaufen. Ich habe ihn beobachtet, wann immer er im Bild war.«
»Und wo in Mumbai hast du ihn zum ersten Mal getroffen?«
»Am Juhu Beach. Ich habe übers Wochenende im Haus meines Vaters in der Nähe übernachtet. Ich ertappte mich dabei, einen Mann zu beobachten, der mit aufgekrempelter Hose, in jeder Hand einen Schuh, im Wasser stand. Ich weiß nicht, warum, aber ich war mir sicher, dass er in tiefe Gedanken versunken sein musste, als ob er über seine Zukunft, eine wichtige Entscheidung oder Kursänderung nachdachte. Vielleicht ist ein Sonnenuntergang am Meer ein Klischee, das solche Vermutungen nahelegt. Hinterher – und er wandte den Blick nicht ab, bis die rote Scheibe ganz hinter dem schwarzen Horizont verschwunden war – ging er am Strand entlang zu den Essensständen. Er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, und blinzelte, so als hätte er mich schon mal irgendwo gesehen. Als er an mir vorbeikam, erkannte ich, dass er nicht stehen bleiben würde, also sagte ich: ›Du bist Deepak Mistry, oder?‹«
Alyshia zog sich in sich selbst zurück und war wieder am Juhu Beach, saß in Gedanken nach Sonnenuntergang im Halbdunkel des Strandes, der nur von den Lichtern der Imbissbuden beleuchtet wurde.
»Ich glaube, ich kenne dich«, sagte Mistry unsicher, beinahe verlegen.
»Ich bin die Tochter von Frank D’Cruz. Wir arbeiten in derselben Firma.«
Er wirkte erleichtert. »Weißt du, ich bin wirklich froh, dass du das sagst. Ich dachte schon, du wärst vielleicht eine Schauspielerin aus dem Fernsehen, an deren Anblick ich so gewöhnt bin, dass ich sie für eine Bekannte halte.«
»Siehst du so viel fern?«
»Es ist meine Schlaftablette«, sagte er. »Ich stelle den Fernseher leise, und das Gemurmel gibt mir das Gefühl, in einer Familie zu leben. Dann treiben die Farben vor meinen Augen dahin, und in zehn Minuten
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