Stirb für mich: Thriller
bin ich weg. Wenn ich morgens aufwache, läuft er immer noch.«
»Ich bin überrascht, dich hier zu treffen.«
»Ich auch«, sagte er. »Ich komme fast nie hierher. Ich habe seit einem Jahr keinen freien Tag mehr genommen. Aber heute habe ich etwas abgeschlossen und dachte, ich bräuchte eine Abwechslung, um, nun ja, Bilanz zu ziehen. Machst du … das auch?«
»Nicht ganz«, sagte sie. »Ich wollte bloß den Menschenmassen entfliehen.«
Er blickte zu den Essensständen und den Tausenden von Leuten, die sich lärmend darum drängten, und lachte. »Es ist nicht leicht, in diesem Land allein zu sein«, sagte er. »Aber nicht so schwer, einsam zu sein.«
»Das war’s«, erklärte Alyshia, zurück in der Gegenwart. »Unser komplettes erstes Treffen. Er sagte auf Wiedersehen und war weg. Wie Sie sehen, hat es Eindruck auf mich gemacht. Ich kann mich Wort für Wort daran erinnern. Was mir aufgefallen ist, war das Gefühl von Respekt, mit dem er mich zurückließ. Ich hatte sein Bedürfnis, alleine zu sein, respektiert und er meins. Ich kenne keinen anderen Mann, der das getan und nicht versucht hätte, die Situation irgendwie zu nutzen. Und es war nicht mal Taktik.«
»Du dachtest also schon zu diesem Zeitpunkt, dass irgendetwas möglich wäre?«, fragte die Stimme.
»Nein, den Eindruck hatte ich gar nicht. Es fühlte sich eher an wie der Beginn einer Freundschaft«, sagte Alyshia, zunehmend müde und matt. »Nach einem Blind Date sagen die Leute oft, sie hätten ›keinen Funken, kein Kribbeln‹ gespürt. Nun, es gab keinen Funken und kein Kribbeln. Keine Schmetterlinge im Bauch. Keine Leidenschaft. Irgendwas war da, aber nicht das, was ich im Licht der späteren Ereignisse vielleicht erwartet hätte.«
SECHZEHN
Montag, 12. März 2012, 16.00 Uhr,
Isabel Marks’ Haus, Aubrey Walk, London W8
W enn du mir erzählen würdest, dass Alyshia von muslimischen Extremisten gefangen gehalten wird, müsste ich das meinem Boss Martin Fox mitteilen, der dann entscheiden müsste, ob die Polizei informiert werden sollte oder nicht«, versuchte Boxer den immer noch unter Schock stehenden D’Cruz unter Druck zu setzen, ihm zumindest eine Richtung für seine Ermittlungen zu offenbaren. »In Anbetracht der Zahl der Morde ist es meiner Meinung nach ziemlich wahrscheinlich, dass das Anti-Terror-Kommando der Met eingeschaltet wird.«
»Und was glaubst du, wie lange das terroristischen Gruppen in Großbritannien verborgen bleiben würde?«
»Also gut, Frank. Lass uns die Sache theoretisch analysieren«, sagte Boxer. »Auf diese Weise musst du nicht zugeben, dass du etwas weißt. Wenn Alyshia in der Gewalt von Terroristen ist, was wollen sie erreichen?«
»Nun, sie könnten trotz allem finanzielle Ziele verfolgen. Ich weiß, du glaubst das nicht. Aber es macht einen großen Unterschied bei der Verhandlungstaktik, ob man es auf zweihunderttausend abgesehen hat oder, sagen wir, auf fünfzig Millionen, die Summe, die Isabel gegenüber in dem ersten Telefonat genannt wurde.«
»Du kennst bestimmt auch die Phrase vom ›Querdenken‹, aber ich möchte, dass du genau das für mich tust«, sagte Boxer. »Du hast dich schon wieder in die Lösegeld-Theorie verbissen. Wir müssen aber alle Möglichkeiten betrachten. Das Verhalten des Entführers, seine Provokationen und die Psychoanalyse lassen mich immer noch glauben, dass er letztendlich die Absicht hat, dich zu bestrafen. Warum sollte eine Terrororganisation das tun wollen?«
»Weil ich ihnen nicht nur nicht helfe, sondern sie behindere«, sagte D’Cruz.
»Heißt das, du kennst diese Leute persönlich?«
D’Cruz schwieg. Stress meißelte minütlich neue Falten in seine Stirn. Er wusste, dass er etwas preisgeben musste; die Eskalation der Brutalität bei dieser Entführung verlangte es.
»Sieh mal, Charles«, setzte er zu einer Art verschwörerischer Beichte an, »bevor ich Geschäftsmann war, war ich Schauspieler, und davor, ja, in den 1970ern und 1980ern hatte ich eine reichlich windige Karriere, um mich aus der Armut zu ziehen. Ich war das, was du einen Gangster nennen würdest. Für mich ist das bloß ein Wort. Ich habe wie alle Schmuggler eine unsinnige Situation ausgenutzt. Die Regierung kontrollierte den Goldimport nach Indien. Wie du wahrscheinlich weißt, sind Inder ganz besessen von Goldschmuck – es ist ein Teil unserer Kultur. Durch den Schmuggel auf Fischerbooten von Dubai habe ich gut verdient und viele einflussreiche Freunde gewonnen, die meine Ware kaufen
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