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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Sarah. Natalie. Laila. Alle in weißen Särgen. Blumengestecke obendrauf. Als wären sie die Unschuld selbst gewesen. Und jetzt ich. Die wahre Unschuld. Ein Wagen rollt über Friedhofswege, knirschende Kiesel. Jemand spricht. Rihanna-Songs. Ich hasse Rihanna. Wer steht an meinem Grab? Nicht Gottvater. Nicht die Alte Schlampe. Niemand. Bloß Sascha.
    Ich schlage die Augen auf. Über mir die weiße Zimmerdecke.
    Was, wenn die Polizei sich wirklich zufriedengibt mit der letzten Leiche? Mirko, der verirrte Jugendliche. Das ungeliebte Kind.
    Spanien. Italien. Sascha.
    Es klopft.
    »Bist du okay?«
    Ich kann nichts sagen. Einfach nichts sagen.
    »Kann ich reinkommen?«
    Nein!
    »Nein!«
    Ich springe aus dem Bett, in meine Klamotten: Unterhemd, T-Shirt, Sweatshirt, Slip, Hose, Gürtel zu. Reißverschluss, Socken, Schuhe. Das glitzernde Herz auf der Bettdecke, das Zeichen für irgendwas. Ich stecke es ein und eile zur Tür. Atmen. Atmen!
    Sascha?
    »Sascha?« Nur geflüstert.
    Keine Antwort.
    Ich drehe den Schlüssel um.
    Gleichzeitig betreten wir den Flur, ich aus seinem Zimmer, er aus dem Bad.
    Ich explodiere gleich vor … Ich weiß nicht, vor was …
    Ich muss weg.
    »Soll ich dich jetzt zeichnen? Ich zeichne dich auch angezogen.« Er lächelt.
    »Muss weg. Sorry.«
    »Schade.«
    »Wir telefonieren.«
    Ich will das mit den Fingern machen, die Telefoniergeste, aber meine Finger sind total durcheinander, ich krieg es nicht hin.
    Wir stehen da. Wir sehen uns an. Wir warten auf etwas.
    Etwas, das nicht kommt.
    Ich halte das nicht länger aus.
    »Tschüss.«
    Ich gehe an ihm vorbei.
    Was mache ich denn? Wieso gehe ich einfach so?
    Wer töten kann, der kann auch …
    Ich drehe mich um, ich springe ihn an, er zuckt zurück, weil er nicht weiß … Ich hänge an seinem Hals, meine Arme, mein Mund klebt an seinem, es ist ein Kuss, ich glaube, es ist ein Kuss. Ja.
    Ist es schön? Fühle ich etwas?
    Ich muss weg. Reiße mich los von ihm und schnappe meine Jacke vom Garderobenhaken, werfe sie mir über die Schultern und bin draußen. Meine Schritte, die auf der Treppe poltern.
    Der Kuss. Ich habe es getan. Ihn geküsst. Erst jetzt, da es vorbei ist, wird es schön. Erst jetzt bekommt alles Sinn. Erst jetzt schließt sich der Kreis. Erst jetzt wird aus dem Kampf ein Sieg. Alle Feinde tot, ich obenauf. Sascha und ich.
    Spanien. Italien.
    Wir kommen.

33
    WAS WAR DAS denn gewesen? Die Wohnungstür war längst hinter Mareike ins Schloss geknallt, aber Sascha stand noch immer da wie ein Pudel nach einem Platzregen. Sie hatte ihn geküsst. Nachdem sie zuvor gewollt hatte, dass er sie zeichnete – nackt. Und jetzt war sie weg. Echt seltsam, dieser Ablauf der Ereignisse. Echt seltsam, dieses Mädchen.
    Nachdenklich schlurfte er über den Flur zu seinem Zimmer. Dass ein Mädchen ihn wollte, war ein tolles Gefühl. Jan hätte ihm jetzt bestimmt anerkennend auf die Schulter geschlagen. Aber was sollte er machen, er war nun mal nicht in Mareike verliebt. Kein bisschen.
    In seinem Zimmer fiel ihm auf, dass das Bett nicht mehr so aussah, wie er es verlassen hatte. Anscheinend hatte sie sich hingelegt. Vielleicht war ihr schummrig geworden. Kein Wunder, nach der Menge Wein, die sie in kurzer Zeit getrunken hatte. Er setzte sich auf die Bettkante. Sein Blick fiel auf Joys Porträt. So ’ne Kacke, dachte er. Er hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen. Hatte er durch sein Verhalten falsche Hoffnungen in Mareike geweckt? Was sollte er tun? Wie kam er aus der Nummer wieder raus? Dieses Liebesding war echt kompliziert. Wieso verliebte man sich nicht ausschließlich in Leute, die in einen selbst verliebt waren? Dieses ganze Heer der Enttäuschten – das war doch völlig unnötig.
    Er hätte jetzt dringend jemanden zum Reden gebraucht. Doch zu wem konnte er gehen? Nicht zu Joy, das war klar. Androsch war weg und womöglich ohnehin nicht so vertrauenswürdig, wie er gedacht hatte. Wer blieb übrig? Seine Mutter? Ganz bestimmt nicht. Seine Kumpels in der Schule? Die hatten noch weniger Ahnung als er.
    Seine Hand wanderte wie von selbst in die Hosentasche, um das Glitzerherz zu berühren. Doch sie griff ins Leere. Auch in der anderen Hosentasche war es nicht. Ach ja, fiel ihm ein, er hatte es vor dem Einschlafen in der Hand gehalten. Er schlug die Bettdecke zurück, strich das Laken glatt. Nichts. Vielleicht unter dem Kissen? Auch nicht. In einer Ritze? Wieder nichts. Irgendwo auf dem Boden? Weit und breit keine Spur davon. Merkwürdig war das. Und

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