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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Treffpunkt, den sie ausgewählt hatte, der Alte Südliche Friedhof, passte zu seiner trüben Stimmung.
    Er wollte schon gehen, da kam ein Motorroller auf ihn zu und hielt vor ihm an. Erst als der Fahrer den Helm abnahm, erkannte Sascha, dass es Mareike war. Sie stellte den Motor ab und hievte den Roller auf den Ständer.
    Sascha deutete auf ihr Fahrzeug und meinte: »Cooles Teil. Ist das neu?«
    Sie nickte. »Hab ihn erst seit heute. Den Vorgänger hab ich im Frühjahr leider geschrottet. Willst du mal fahren?«
    Er schüttelte den Kopf. »Geschrottet?« Er erinnerte sich dunkel, dass sie so was schon mal erwähnt hatte. »Wie hast du das denn hinbekommen?«
    »Ich bin unfreiwillig abgestiegen, und das Ding ist unter einen entgegenkommenden Laster gerauscht. War total platt.«
    »Und du?«
    »Bloß ein paar Prellungen, sonst ist nichts passiert.«
    Er griff in seine Jackentasche, holte ihr Handy heraus und gab es ihr. Er brachte es nicht über sich, sie zu fragen, warum sie nur seine Nummer gespeichert hatte. Vielleicht später.
    »Hast du zufällig in meinem Zimmer einen Schlüsselanhänger gesehen?«, fragte er stattdessen. »So ein Herz in einer Kugel. Total kitschig, aber es ist ein Andenken. An Natalie.«
    Sie sah ihn an, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, leider. Es taucht schon wieder auf. Alles taucht wieder auf, irgendwann.« Sie lächelte und ging los zum Eingang. »Warst du schon mal hier?«
    »Ein-, zweimal.«
    »Mit Natalie?«
    »Nein. Wie kommst du darauf?«
    »Ich dachte nur. Sie war gerne hier.«
    »Wusste ich gar nicht.«
    Sie ließen den Eingangsbereich hinter sich und nahmen einen der Wege. Es gab noch andere Spaziergänger, doch die waren außer Hörweite.
    »Wegen gestern noch mal«, begann Mareike, ohne ihn anzusehen. »Mir ist das echt peinlich. Alles, meine ich. Dass ich erst sage, du sollst mich zeichnen, und dann einfach abhaue. Ist nicht gerade cool. Ich sollte keinen Wein trinken. Tut mir nicht gut. Also … Sorry.«
    »Schon okay.«
    »Wirklich?«
    Er nickte. Obwohl es nicht ganz stimmte. Aber irgendwie kriegte er einfach die Kurve nicht.
    »Und das andere … War das auch okay?«
    Der Schweiß brach ihm aus.
    »Das andere …?«
    »Der … Du weißt schon …«
    Er spürte ihre Hand über seiner. Sie war kalt und leicht und wirkte zerbrechlich. Wie ein kleiner Vogel, der auf seinem Handrücken gelandet war.
    Er blieb abrupt stehen. Ihre Hand löste sich von ihm.
    »Weißt du … Also, wenn ich ehrlich bin …« Statt in ihr Gesicht schaute er auf ihre Schuhe.
    »Was?«, fragte Mareike, da er nicht weitersprach.
    »Ich mag dich echt gerne, Mareike, aber … nicht
so
… Wenn du verstehst.«
    Ihr ohnehin schon blasses Gesicht wurde noch bleicher. Sie sah aus wie ein Geist, der eben aus einem der Gräber gestiegen war. Mit offenem Mund starrte sie ihn an.
    »Aber wir können doch Freunde bleiben«, schob er rasch nach, »oder? Das wäre echt super. Aber mehr … Man kann halt nichts erzwingen … Keine Gefühle, meine ich … Ich wünschte, es wäre anders.«
    »Ich muss los«, sagte sie plötzlich.
    Er schwieg. Sein Blick huschte über ihr Gesicht, das nur noch eine erstarrte, weiße Maske war. Er hasste sich selbst für das, was er ihr antat. Niemand kannte ihren Schmerz so gut wie er. Doch ihr zu erzählen, dass er dasselbe durchmachte, würde sie bestimmt nicht trösten.
    Sie ging einfach davon, ohne weiter auf ihn zu achten, mit immer schneller werdenden Schritten. Er folgte ihr nicht.
     
    JOYS NEUGIER WAR zu groß. Sie musste sehen, wo und wie Mareike wohnte. Vielleicht erfuhr sie so auch etwas mehr über sie. Deshalb hatte sie sich sofort auf den Weg gemacht, obwohl sie noch eine ganze Menge Hausaufgaben zu erledigen hatte. Doch die Mühe hätte sie sich sparen können. Als sie vor der Hausnummer vierzehn stand, fühlte sie sich wie vor einem Hochsicherheitsgefängnis: hohe Mauern, die jeden noch so flüchtigen Blick auf das Anwesen unterbanden, ein Tor aus dickem Stahl vor der Einfahrt und mehrere Kameras. Wovor fürchten sich diese Leute so sehr?, fragte sie sich, während eine Gänsehaut ihren Rücken hinabkroch. Irgendwie hatte sie das Gefühl, doch etwas über Mareike und ihre Familie herausgefunden zu haben.
    Sie machte kehrt, um zu der Bushaltestelle zurückzugehen. Zunächst beachtete sie den Roller nicht, der auf der Fahrbahn gegenüber mit hochdrehendem Motor an ihr vorbeifuhr. Als sie jedoch hinter sich ein metallisches Scharren hörte, blieb sie stehen und drehte

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