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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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mal erlebt?«
    »Klar. Mit deinem Vater, zum Beispiel.«
    »Ach ja? Hast du mir so genau nie erzählt. Wie war das?«
    Ihre Mutter verließ den Arbeitsplatz in der Ecke und setzte sich zu ihr auf die Couch. Sie legte den Arm auf die Lehne, schlug die Beine übereinander und wandte sich ihr zu.
    »Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, mit einem schwarzen Mann zusammen zu sein. Nicht, weil ich was gegen Schwarze gehabt hätte. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Und er hat mir auch gefallen. Aber ich dachte: Was sagen die Leute, wenn ich mich darauf einlasse? Schauen die mich dann nicht komisch an? Ich wusste selbst, dass das die dümmsten Gedanken sind, die man sich machen kann, aber …, na ja, man lebt halt nicht im luftleeren Raum.«
    »Und wie hast du gemerkt, dass du ihn doch liebst?«
    Sie legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Da war diese Betsy in dem Sprachkurs. Auch eine Weiße. Aus Oregon oder so. Hat da auf dem Stützpunkt als Sekretärin gearbeitet. Eine selten blöde Kuh. Ich hab ihn ihr einfach nicht gegönnt. Und dass ich ihn ihr nicht gegönnt hab – und auch keiner anderen –, das hat mir gezeigt, dass da wohl was ist, zwischen mir und ihm.«
    Joy ließ einen Moment verstreichen, ehe sie mit leiser Stimme einwandte: »Aber gehalten hat es trotzdem nicht.«
    »Es lag nicht an unserer Liebe.«
    »Sondern?«
    »Es lag an uns. Dein Vater wäre nie hier in Deutschland geblieben. Und so recht wollte er auch nicht, dass ich mit ihm in die Staaten gehe. Als eine Weiße in einem komplett schwarzen Viertel. Ich wollte das auch nicht. Vielleicht waren wir bloß nicht mutig genug. Beide. Aber ich hab ja was sehr Schönes von ihm behalten dürfen.« Ihre Mutter lächelte selig, beugte sich vor und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. »Wieso fragst du eigentlich?«
    »Nur so.«
    »Dann hängt es nicht zufällig mit einem bestimmten Jungen zusammen? Einem, der nebenan wohnt?«
    Sie lachte auf, aber sie wusste selbst, dass es nicht echt klang. »Du meinst Sascha? Nee …, nee …, also … Wie kommst du denn …?«
    »Schon gut. Ich dachte nur.«
    Ihre Mutter stand auf und kehrte zu ihren Klausuren zurück.
    Sie konnte es ihr nicht sagen. Nicht, bevor sie selbst wusste, was wirklich mit ihr los war.
    Sie stand auf und ging zur Tür, blieb dort stehen und drehte sich halb um. »Ich sollte Papa mal wieder anrufen.«
    »Tu das, Liebes. Er freut sich bestimmt.«
     
    AUCH AN DIESEM Abend kam seine Mutter spät. Sascha wartete wie auf Kohlen. Als er endlich hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde, konnte er nicht anders, als sofort zu ihr zu eilen. Sie sah ziemlich abgekämpft aus.
    »Hi«, sagte er nur. »Ich hab Suppe. Die gute Kartoffelsuppe, die du so magst.«
    Sie lächelte, während sie die Schuhe abstreifte, ohne die Schuhbänder zu lösen. Obwohl sie ihn dauernd genau dafür kritisierte, sagte er nichts, sondern ging voraus in die Küche, wo er sofort die Herdplatte einschaltete, auf der der Suppentopf schon wartete.
    »Scheißtag«, hörte er seine Mutter in seinem Rücken sagen.
    »Wieso? Ich dachte, ihr habt diesen Mirko gefunden.« Er versuchte, so beiläufig zu klingen wie irgend möglich.
    »Ja. Tot. Da fühlt man sich immer schlecht. Außerdem …«
    Sie vollendete den Satz nicht.
    Er drehte sich halb zu ihr um. »Was?«
    »Nichts.«
    Sie verschwand wieder, er hörte sie im Bad. Er stellte zwei Teller auf den Tisch und schnitt ein paar Scheiben Brot ab. Gerade als die Suppe zu kochen anfing, kehrte seine Mutter in bequemen Leggins zurück. Erschöpft ließ sie sich auf einen Stuhl sinken.
    »Massage?«
    »Nachher. Erst die Suppe. Mhm – die riecht so gut. Hörst du das? Wie mein Magen knurrt? Der freut sich.«
    Er hatte es gehört. Sie hatte wahrscheinlich wieder den ganzen Tag so gut wie nichts gegessen.
    Nachdem er den Topf auf den Tisch gestellt hatte, füllte er erst ihren Teller, dann den seinen. Schweigend nahmen sie Löffel für Löffel, seine Mutter seufzte bei jedem Schluck wohlig auf.
    »Noch immer keine Spur von Androsch?«, fragte er in das Seufzen hinein.
    Seine Mutter sah ihn kurz an, sagte dann: »Nein«, und nahm den nächsten Löffel Suppe.
    »Und dieser Mirko könnte ihn nicht …?«
    Sie winkte ab.
    Was sollte das bedeuten? Glaubte sie etwa nicht, dass Mirko für das Verschwinden seines Vaters verantwortlich war? Er hatte gedacht, die Polizei sei überzeugt davon. Zumindest hatte es in den Stellungnahmen gestanden,

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